Letzte Schläge gen Osten

Druschba!

Ich schicke es gleich vorweg: es ist nach Mitternacht, meine Liebste hat mich grad verlassen. Um die russischen Apparatschiks unmittelbar vor der eigenen Haustür zu Nasweisen, siehe Bericht von Martin. Insofern kann ich eine winzige Beunruhigung verspüren, was ich, nun allein im übergroßen Hotelzimmerbett, mit dem kühlen Sektchen aus der Minibar zu lindern versuche. Und, wie vorschnell verkündet, noch etwas der Eindrucksflut der letzten Tage in Worte zu fassen.
Klar haben die Tage in Petersburg mit ungeheurer Wucht versucht die lieblichen letzten Stunden in Haapasaari zu verschütten. Aber dieses Leben hier, das den Eindruck erweckt, hier wird gefeiert, als gäbe es kein „Morgen“, rief schnell große Sehnsucht nach der Schären Stille hervor.

Es war ein wunderbarer, wenn auch kurzer Törn (12sm), von Nuokko nach Haapasaari. Nuokko verabschiedete uns mit Sonne und zu wenig Wind. Bei der Gelegenheit bringe ich noch Einen für Jens: Morgensonne satt, die Segel hängen platt…
Also brachte uns Herkules‘ Jockel in die kleine, in brütender Hitze dahinschmorende Bucht der letzten, südostfinnischen Bastion Haapasaari. Schaut es euch von oben oben, das ist nicht vermittelbar, dieser Mövenschiss auf der Seekarte als Ausreisestelle von Grosseuropa, auf dem wir uns nach Grossrussland abgemeldet haben beim freundlichen finnischen Grenzbeamten in schwarzbunten Teva-Latschen.
Der letzte EU-Abend erstickte uns fast mit tropischer Hitze und ließ sich nur mit kühnem Hechter ins sogenannte Hafenbecken und einigen Liter Eistee ertragen. Vor dem ersehnten Gewitter gab’s natürlich noch den obligatorischen Inselrundgang, einschließlich letztem Bunkern einiger weniger Ampullen Cider für Andrea und Bier für Raik. (Die Teevorräte für Anke, Micha und mich reichen noch bis Casablanca.) Nach skeptischem Blick auf die Rechnung ist uns endgültig klar, warum das Bier hier eine ausgeprägte goldene Tönung hat….
Zum Aufbruch gen Russland vereinen sich unsere gute Laune mit bestem Segelwetter zum perfekten Törn gen Osten. Our Old Big Brother is watching us, was aber eher beruhigend wirkt, während wir vor dem Wind ostwärts rauschen. Andererseits empfanden wir es auch etwas enttäuschend, dass der Helikopter nicht mal ne extra-Runde über uns spendiert hat und die Küstenwachboote lediglich das Tempo gemindert haben, ein wenig geschaut, und auch ohne nennenswerte Kursänderung verschwunden sind. Selbst unsere kryptischen Antworten auf „Gerkules – Gerkules“ – Angefunke haben die Russen – wahrscheinlich auch nix verstehen – ignoriert. Vielleicht waren wir auch einfach zu schnell. Denn bereits nach ca. 13 h und gut 70 sm Segelnachtvergnügen meldeten wir bei der russischen Grenzbehörde auf Höhe der Lotsenstation mit dem bescheuerten Ruf: Granit – Granit – Granit, usw an, dass wir etwa um halb 5 hinter dem grossen Flutschutzdamm in Kronstadt am alten Fort Konstantin, der Petersburger Zollstelle, zum Zwecke der Einreise anlegen werden. Unterdessen hatte der mittlerweile bewölkte Himmel für etwas mehr Dunkelheit als gewöhnt gesorgt, die Wellen schoben sich auf einen Meter von schräg hinten auf, was bei Andrea ein gewisses Unbehagen hervorrief. Mit angekündigter deutscher Pünktlichkeit kurvten wir an die Zollpier, an der uns tatsächlich eine, der Tageszeit angemessen grimmig dreinblickende Grenzbeamtin sowie ein gut gelaunter, des Englischen ein bissel kundigerer, ziviler „Mitarbeiter Für Alles“, die Leinen abnahmen und, sofort nachdem die letzte Spring gelegt war, gemeinsam die hochkomplexe Arbeit der „Einreise nach Russland von See, mit fremdem Boot, (also fast fremd, weil ein Bruder an Bord), und mit weiblichem blonden kleinen Skipper Anke, (statt einem der 3 großen Kerle) aufnahm. Die noch wichtigere Behörde ZOLL war so früh noch nicht wach und wurde für „nach 9“ angekündigt, was sich als richtig erwies. Frau Doktor Utes großer roter Arztkoffer, den er sich rausbringen liess, da er rücksichtsvollerweise mit der frisch angebrannten Fluppe nicht an Bord wollte, erregte kurz Aufmerksamkeit. Aber der frühe Tag dämpfte offenbar des Beamten Neugierde und so endete die Einklarierung insgesamt recht unspektakulär. Neben einer gewissen Erleichterung war doch so eine ganz klein wenig Enttäuschung zu vernehmen. Wir hätten der geneigten Leserschaft gern mehr geboten.
Nun, halb elf, allerletzter Schlag rein nach Sankt Petersburg, noch 18 sm auf ekliger Welle vor dem Wind mit Genua und 5,5 kn durch die Kolonnen von Kümos, Arbeitsschiffen, Wassertaxis und nahezu fliegenden Tragflächenbooten. Die grossen Pötte und Kreufahrer waren gottseidank schon lange durch. War wirklich ein cooler Ritt bis kurz vor die Hafeneinfahrt.
Naja, wie schon beschrieben, wurden wir im Central River Yachtclub zwischen zwei baugleiche Motoryachten von gediegener Doppelhausgrösse (23 m!) gelotst, einem total sicheren Plätzchen, wie man sich gut vorstellen kann. Mann Atze, so mickrig erschien mir Herkules noch nie…
Und nu is der Sekt alle und dreiviertel drei. Ahoi. Vielleicht findet sich morgen (bzw später heute), während Anke Herkules vor der russischen Zollkette bewahrt, noch Zeit und Lust meine Sicht auf die Petersburgeindrücke zu formulieren. Von wegen 2,5 Stunden Fußmarsch, Martin untertreibt wieder, dass waren mindestens 3,5 h! Echt!

4 Kommentare

  1. Hallo Uwe, vielen Dank für deinen Bericht. Dieses Warten muss ja grässlich sein. Wir drücken alle die Daumen, dass alles klappt und ihr dann doch noch ein wenig St. Petersburg genießen könnt. Dem Martin und seiner Crew wünsche ich ein problemloses Ausklarieren. LG Tom

  2. Moin ind die Runde,
    Martin hat mir soeben eine sms geschickt, dass Herkules den Pranken des russischen Bären glücklich entkommen ist und sich auf dem Weg ins „heimische“ Finnland befindet. Also die List ist gelungen! Gratulation!
    Liebe Grüße! Atze

  3. Gratulation zum trickreichen Spiel, muss Anke nun zurückschwimmen, um den sektbetrunkenen Geliebten noch im riesigen Hotelbett zu erreichen?
    Handbreit … Utz

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