Nachtrag zu St. Petersburg

Ja, Freunde, es wird höchste Zeit, die Tallinn-Petersburg-Etappe im Blogbuch zu Ende zu bringen. Gottseidank haben die ersten 3 Arbeitstage dem im fernen Osten Erlebten kaum etwas von seiner Eindrücklichkeit nehmen können. Und so ein wundervoller sonniger Segelsommersonntag auf der Cospude kurbelt die Erinnerungen an den Törn und die Aufregungen um die Herkules-Ausreise von Petersburg noch mal so richtig an.
Ich spiele jetzt mal den ghostwriter, denn die spannenden Stunden der Ausreise kenne ich ja nur aus Ankes Erzählungen.

Also für alle, denen wir es noch nicht erzählt haben:

Im russischen Formularwald gibt es nur Spalten für „wer das Schiff reinbringt, schafft es gefälligst auch wieder raus“, und nix westliche individualistische Unordnung, jeder macht was er will. Der Aussicht auf 3 – 4 Tage Behördenkrieg mit ungewissem Ausgang haben wir uns also kampflos ergeben und Anke ist, wie Ihr wisst, mit der Martin-Crew früh halb 5 bei strömendem Regen los, um möglichst vor 9 als erste an der Ausklarierungs/Zollpier Fort Konstantin zu sein, zumal wir wussten, das die 30 fliegenden Holländer zur selben Zeit dort eintreffen sollten. Kanal 16 und 06 brachen bereits unter der Flut der Granit-Granit-Rufe mit stark holländischen Akzenten zusammen. Bei Einklarierungszeiten von ca. 1,5 h pro Schiff kann man verstehen, dass Anke um ihren Abflugtermin am nächsten Morgen bangte und der Hebel auf den Tisch gelegt wurde. Gegen den sportlichen Ehrgeiz der Skippervereinigung Anke – Martin hatten die Oranjes nicht die geringste Chance.
Tatjana hatte das Schiff zum Zwecke der Ausklarierung angekündigt, und so erschien kurz nach dem Festmachen das bekannte nette zivile Helferlein mit den Englischkenntnissen, während die ersten 7 Holländer an der zugegebenermaßen recht unscheinbaren Zollpier vorbeirauschten und die Mädels von der Passkontrolle in sichtbare Unruhe versetzten. Natürlich kamen die nicht sehr weit und wurden behördlich angemessen zurückgepfiffen. Micha und Anke wurden als erfahrene Kronstadt-Anleger-und-Einklarierer notgedrungen mit eingespannt, um die Leinen anzunehmen. Da die Pier ursprünglich für ganz große Schiffe gebaut wurde, war das Anlegen mit etwas Kletterei verbunden und das Festmachen nur an einer Art Geländer aus labbrigem Winkelstahl möglich.
Lange Rede kurzer Sinn: die Zöllner selbst verspäteten sich, die Holländer „vermehrten“ sich unterdessen. Die Einreisewilligen rannten in kleinen Scharen in ihren roten Segeljacken, hilfesuchend aus den neongelb-grünen Kapuzen blickend und ihre kostbaren Anmeldepapierstapel in Plastiktüten vor dem anhaltenden Regen schützend über die normalerweise verwaiste Pier. Die zivilen „Einreiseagenten“ Michail, sein Helferlein und 2 Agentenkollegen konnten angesichts der vor ihnen liegenden Aufgaben ihre Aufregung auch nicht unterdrücken. Und die schlaue Anke hatte den richtigen Riecher für diese für russische Verhältnisse äußerst ungewöhnliche Situation und fragte ganz einfach und geradezu den uns schon von der Einreise bekannten sympathischen „Schleuserhelfer“, ob es wirklich zwingend nötig sei, auszureisen um unter Havarievorwand wieder einzureisen. Er erkannte sofort die Unsinnigkeit dieser Unternehmung, die auch noch mehr Arbeit für ihn bedeutet hätte, und mit „I will ask“ verschwand er und kam nach schlappen 15 min mit einem lapidaren „you can go“ zurück. Und nach weiteren 30 min Wartezeit wurde Anke zum Zoll in eines dieser rotten 2etagigen Schwimmhäuser gebracht, die mit ihren umlaufenden parzellierten Balkonen auch sehr an ausgemusterte radlose Raddampfer erinnerten, um Herkules auszuklarieren. Ankes Beschreibungen der „Büro – und Aufenthaltsräume“, deren ausgiebige Besichtigungen ihr auf der Suche nach den wirklich zuständigen Beamten nicht erspart blieben, kann ich nicht wirklich überzeugend wiedergeben; kann man sich aber sicher noch gut vorstellen. 3 Pfund Papier, 15 Unterschriften und 33 Stempel später war es vollbracht; Herkules war erfolgreich ausklariert. Und angesichts des möglichen drohenden Ungemachs und Aufwandes fühlte es sich fast wie ein Sieg der Vernunft über bürokratischen Unfug an. Die Passkontrolle war dann nur noch ein fast normaler Ausreiseakt, wie früher.
Ohne das freundliche Management von Michail, dem Director of Fort Konstantin, und seiner Mitarbeiter wäre es jedoch niemals möglich gewesen. Großen Dank an sie. Michail trug Ankes Tasche noch bis vor das Pförtnerhäuschen des Geländes und rief ihr ein (Schwarz)Taxi. Gegen halb eins stand Anke, etwas benommen durch 45 min CC Catch-Beschallung, leicht durchnässt und völlig übermüdet dreinblickend, wieder immer Hotelzimmer.
Am Nachmittag gab`s noch einen Besuch in der Blutskirche. Sehr beeindruckende Marmorintarsien auf den gesamten Böden und unglaubliche Mosaiken an allen Säulen und Wänden. Den Petersburg-Aufenthalt krönte zum Abschluss ein 90min-Newa-Nachtfahrt zu den Brückenöffnungen. Meine Güte! Was für eine Pracht, und alles erleuchtet, so weit das Auge blicket. Auch die spinnen, die Russen.
Hinfahren und Ansehen! Am besten mit dem Boot. Wir wissen ja jetzt, wie `s funktioniert.

Und: Riesigen Dank an Atze, und alle, die diese unglaublich schöne Reise ermöglicht haben.

Anke und Uwe

1 Kommentar

  1. Was für ein Abenteuer! Weder Welle noch Sturm oder Mastbruch — die wirklich heftigen Herausforderungen lauern offenbar auf den Behördengängen und Ämtern dieser Welt. Well done, Anke.

    Darf ich noch erwähnen, dass wir gleich am Abend der Rückkehr mit den beiden den schon öfters erwähnten Tee verkosten durften – in kleinen Gläsern und frisch aus dem Duty Free eines russischen Flughafens.

    Nächste Woche Urlaub, Jens

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