Algarve und „Enspennaug“ in Lagos

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Marina de Lagos – unser Winterquartier

 

Welch eine Überraschung. Heute kam per Mail die erste Rechnung für den Liegeplatz hier in der Marina Lagos. Das bedeutet, wir sind bereits seit 4 Wochen in ein und demselben Hafen. Und es fühlt sich an, als wären wir erst kürzlich angekommen, dabei lassen uns die ständig neuen Erlebnisse und Begegnungen noch immer vergessen, wie rasant die Zeit verfliegt. Etwa die Hälfte unserer Strecke sowie die Hälfte unserer Auszeit liegen hinter uns. Bergfest sozusagen. Aber die Gedanken, dass es nun bergab geht, verdrängen wir erfolgreich. Generell geht’s auf dem Wasser nie bergab, im Detail geht’s ständig hoch und runter, auf’s Wellental folgt der Wellenberg, immer, wenn man es in Gänze betrachtet.  Das haben wir hoffentlich hinreichend verinnerlicht.

In diesen Wochen hier im Süden von Portugal schlich sich unterschwellig so etwas wie Alltag ein. Auf dem Steg liegt tatsächlich ein Fußabtreter vor unserem Boot. Beinahe ereilte uns das Dauercamper-Syndrom; Tischdeckchen und Alpenveilchen auf dem Salontisch dräuten am Horizont.

Doch nun, übermorgen, wird es voraussichtlich wieder soweit sein. Der Befreiungsschlag führt nach Marokko, Nordafrika. Alles ist vorbereitet, Ölwechsel und Erneuerung aller Filter, Steuermann Peter bekam neue Leinen spendiert. Der Anodencheck zeigte erfreulich gut erhaltenes Opfermaterial (solide Arbeit an der Elektrik!), neue Haltegriffe in der Plicht sind montiert, damit (s)ich die Skipperine bei turbulenter Welle nicht immer angurten muss. Der Weinkeller, ein Arbeitsvorrat an Bier sowie ein paar Schweinewürste sind gebunkert, und frische Reiselust und Vorfreude auf einen anderen Kontinent und gänzlich andere Kultur haben die algarvischen Alltagsbequemlichkeiten niedergerungen. Doch 3 Dinge sind hier noch offen: endlich den Algarve-Blogbeitrag fertig stellen und noch 2 Besuche mit netten Segelnachbarn absolvieren.

Algarve, kommt aus dem arabischen „Al-Gharb“ und heißt: der Westen. Da zwischen dem 8. und 14. Jhd. die Mauren auf der iberischen Südhälfte das Sagen hatten, lag dieses Gebiet hier am weitesten im Westen. Heute bezeichnet es die südliche Westküste sowie die Südküste Portugals und ist geprägt von atemberaubenden Steilküsten, in die ebenso atemberaubende Strände eingebettet sind und bergiges, einsames Hinterland. Die Touristenmassen an den Küsten, die einem ebenso den Atem rauben können, sind gottlob in diesen Winterwochen ausgeflogen, was uns und unseren Besuchern ermöglichte, die Naturschönheiten ausgiebig und in Ruhe zu genießen. Eine Woche durchstreiften wir vor Weihnachten mit Peter und Helga die sehenswerten Orte und aufregendsten Küstenabschnitte der Algarve, nach Neujahr erkundeten wir allein 3 Tage lang die raue einsame Westküste. Auf den Besuch der lieben Seidel-Freunde, anlässlich meines Geburtstages, freuten wir uns schon seit langem. Und just an diesem Tag poltert es auf dem Steg: Bruderherz Atze und Schwägerin Ute entern als Überraschnungsgeburtstagsgäste den FreiKerl. Alle waren eingeweiht und ich stand bedeppert, ungläubig drein blickend und mit Freudentränen in den Knopflöchern da und freute mich wie ein Kind. Typische Atze-Aktion; großes Hafen-Kino!  Danke und danke, Ihr Lieben! Infolgedessen gibt es nun einige schöne Dinge mehr in der Heimat, auf die wir uns freuen und die die Rückkehr (hoffentlich) ein wenig leichter machen.

Nunmehr in 6er Gruppe besuchten wir nochmals, nunmehr gewissermaßen ortskundig, unsere Lieblingsorte, -restaurants und Küsten-Hotspots, die die Algarve unvergesslich machen. Jeden beeindruckenden Felsen, jeden verborgenen Traumstrand aufzuführen und zu beschreiben wäre unsinnig. Ich kann es mir nur leicht machen und lasse mich hier dazu hinreißen unser „muß-man-gesehen-und-erlebt-haben“ in Punkten anzuführen:

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

spektakuläre Westküste

 

die Westküste zwischen Cabo de São Vicente und Vila Nova de Milfontes, Spektakulärer Wechsel von 60 – 70 m hohen Steilküstenabschnitten (beherrscht von verwegenen Klippenanglern) und lieblich weichen und weiten Strandbuchten, perfekt für „Brandungshungrige“ wie uns; Exquisites Restaurant „O Paulo“ in Arrifana; Vila Nova de Milfontes am Rio Mira, wunderschön gelegen; im Norden beginnen die weitläufigen Dünenlandschaften (Danke Nichte Nina für die exzellente Empfehlung)

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Sagres mit Blick auf Cabo Sao de Vicente

 

Sagres mit dem Fortaleza auf dem Südzipfel mit Blick auf das Südwestkap São Vicente und den Leuchtturm, den wir nachts von See aus schon aus etwa 60 km Entfernung sehen konnten, (schon seit Urzeiten gewaltige Verteidigungsanlage aller Herrscher; hier gründete Heinrich der Seefahrer Mitte des 15. Jhds. seine Entdecker-Seefahrerschule), in dessen Felsengrund „Ungeheuer“ leben, die sich die Kehle aus dem Leib brüllen und einem wahrhaftig die Haare zu Berge stehen lassen; abgesehen von den spektakulärsten „Wasserspeiern“, die entstehen, wenn größere Wellen in Unterhöhlungen im Gestein einschlagen und von der verdichteten eingeschlossenen Luft unter Getöse zig Meter weit zurück aufs Meer geschossen werden

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Bunte, verrückte Sandsteinfelsküste an der Ponte de Piedade

 

Lagos, mit der Ponta da Piedade, wundervolle gelb-rote Sandsteinfelsenküste mit Türmchen, Felsnadeln, Höhlen und Felsbrücken im schäumenden Wasser, welches mit karibischen Blautönen beeindruckt; Lagos selbst: lebendiger Ort, viele gute Bars und Restaurants; erster Sklavenmarkt Portugals, beeindruckende Stadtmauern

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Die Höhle von Benagil

 

Küstenabschnitt zwischen Portimão und Benagil, mit den schönsten Höhlen in den Küstenfelsen und Felstürmen und -inseln, darin eingerahmten zauberhaftesten Stränden und Himmelslöchern, die die portugiesische Wintersonne das Höhleninnere golden erstrahlen lassen (klare Empfehlung: 2h-Bootstour mit „Algarve Discovery“!)

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Thermalquellen in Monchique

 

Monchique in den Bergen: Serpentinengekurve durch Korkeichenwälder und Olivenhaine; hübsches Örtchen; nicht auszulassen die Labsal an den Quellen der ewigen Liebe und der ewigen Jugend (haben wir unnötiger Weise von beidem ausgiebig geschlürft)

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Castelo von Silves

 

Silves, geschichtsträchtiges Städtchen im Land, mit dem mächtigen zinnenbesetzten Castelo, einst von den Mauren errichtet; auch sonst sehr sehenswert; sehr einladende Restaurationen

 

Endlich konnten wir unsere Begeisterung mal wieder mit Freunden und Familie teilen.

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Adventsbesuch

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Geburtstagsbesuch

 

Und dann waren auch noch Weihnachten und Jahreswechsel. Bei allem Abstand zum fernen alten Leben gibt’s auch hier kein Entrinnen vor den alljährlichen Jahresendfeierlichkeiten. Nur, dass auch diese Kommerz- und Knallerfeiern hier spürbar ruhiger und gemäßigter und somit für uns deutlich angenehmer ablaufen.

Letztlich fühlten sich die Weihnachtstage eher wie ein verlängertes sonniges Wochenende an, entspannt wie die etwas gelangweilten Wellen, die sich bei Windstille mühsam überschlagend und mäßig grummelnd auf den flachen feinen Sandstrand schieben. Allerdings trübte „Montezumas Rache“, wo und warum auch immer wir uns die zugezogen haben, die beiden klassischen Feiertage.

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Freikerls Gabentisch – DANKE FÜR DIE LIEBEN GESCHENKE!!!

 

Silvester lockt die Portugiesen in Familie auf die große Praza von Prince Henry the Navigator, zwischen altem Sklavenmarkt und Kathedrale. Große Bühne und Technikturm und die angekündigte portugiesische Boygroup mit anschließendem DJ lassen eine große „festa“ erwarten. Aber offenbar zieht sich am letzten Tag des Jahres das Abendessen bei den Einheimischen. Während die zahlreichen Urlauber bereits Stellung bezogen haben, trudeln die Lagoser erst allmählich mit Kind und Kegel, Oma, Opa und Lumpi und einem Fläschchen vom Schaumigen ein, und eine Stunde vor Mitternacht  geht’s auch erst los. Die Girls kreischen ein Stündchen, Oma und Opa wippen lässig mit den Füßen. Sonst passiert nix, kein Knaller, keine Raketen über unseren Häuptern, bestenfalls ein freundliches Geschiebe zum Getränkestand. Mitternacht: 10 Minuten grandioses Feuerwerk für alle, mit Ah und Oh. Prösterchen. 3 DJs sorgen mit viel Bass im Technogedudel noch für Stimmung im Jungvolk, die Oldies swingen schön langsam aus und heimwärts. Plug off um 1, und wirklich alle, als hätte man auch Ihnen den Stecker gezogen, trollen sich friedlich und zufrieden nach Hause, oder vielleicht doch noch in eine der wenigen offenen Bars. Das war selbst uns zu wenig und wir freuten uns auf eine kleine Fortsetzung in der Hafenbar. Die kampferprobten Briten, die Lagos fest im Griff haben, werden doch die durchfeuchteten Pappnasen noch aufhaben und uns willkommen heißen. Werch ein Illtum: nix da, sorry, no new costumers. Wir wollten uns gar nicht kostümieren, nur noch einen Absacker, einen Schlummi trinken, gegen Geld. No. Auf dem Steg herrschte bereits die gleiche unheimliche Stille. So musste FreiKerls Bordbar uns also einen kleinen Trösterli spendieren, dann war der Wechsel ins neue Jahr 2018 vollzogen.

Das Hafenleben ist in erster Linie britisch bestimmt, in zweiter schwedisch. Die Deutschen, Holländer, Franzosen, Amerikaner und übrige zusammen genommen sind immer noch klar in der Unterzahl. Aber jeder kocht so sein eigenes Süppchen, es sei denn man klinkt sich in der Pilates-, Wander- oder Musikgruppe ein, was auch wir bislang vermieden haben. Aber es mendeln sich doch bei den täglichen Stegbegegnungen und zwangsläufigen smalltalks Sympathien und Neugier heraus. Lagosüberwinterer Enya-Crew Rosi und Otwin (das Wortfindungsprogramm bietet mir kurioser Weise für „Otwin“ Ostwind an …), herzerfrischende Rheinländer, seit 11 Jahren auf den Planken, die ihre Welt bedeuten, unterwegs, finden sich zum Erfahrungsaustausch ein. Ein herzlicher Nachmittag, bei dem die beiden natürlich viel mehr zum „Austauschen“ einbringen können als wir, endet mit der Vorfreude auf den Gegenbesuch. Mit den „Stilettos“ Andreas und Jane aus Portsmouth  umkreisten wir uns bereits seit A Coruña und fanden hier nun endlich die Gelegenheit des Kennenlernens. Lange haben wir nicht so herzhaft gelacht, und wieder mal dauerte die berühmte halbe Stunde der Einladung zum Kaffee bis zum Morgengrauen an. Mit fortschreitendem Abend wurde auch unser Englisch immer flüssiger, und im Gegenzug erhielt Andreas seine ersten Deutsch-lessons: das unter Seglern viel strapazierte „relaxation“ verblieb in Andreas‘ Aussprache bei „Enspennaug“, und dabei beließen wir es, weil es wie ein vortrefflich zutreffendes Wort für ein Kernziel der Langfahrer klingt. Die Einladung auf ihr Boot war bereits zum Abschied ausgemacht.

 

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Wunderbare Begegnungen: Jane & Andy

Algarve und "Enspennaug" in Lagos

Danke für die herrliche Zeit: Rosi & Otwin

 

Das heißt: die verbleibenden Lagostage waren von äußerst vergnüglichen, langen Abenden und kurzen Nächten geprägt und die Welt wurde plötzlich ganz klein. Die berühmte Chemie hat hier für brodelnde Stunden gesorgt. Wie soll man sich da losreißen, zumal Lagos im Winter ein herrlicher Ort zum Verweilen ist. Der Umstand, dass wir unsere Abreise im Glauben an die Wettervorhersage und somit mehr und stetigeren Wind um 2 Tage verschoben haben, bescherte uns neben der Teilnahme am Marina-Musikabend, (4 Gitarren: Otwin, ein Ire, ein Engländer, ein Kanadier; zu dem Anke und ich erstmalig lauthals: Straßen von London, ein Haus in Neu Orleans, Herz aus Gold und andere Gassenhauer geschmettert haben), viele wunderbare Stunden mit Menschen mit offenen, neugierigen Blicken, wachen Geistern und großen Herzen am rechten Fleck, und letztlich liebevollen kleinen Abschiedsgaben (Äpfel, Orangen, selbst eingekochte Orangen- und Erdbeermarmelade sowie ein Stück Butter von den Enyas, 3 Tüten Überlebenspopcorn für die Reise von Andreas und coole Segler-Armbänder von Jane: nochmals danke an Euch), tatsächlich sechs feuchten Augenpaaren beim „Leinen los“ und der Gewissheit sich wieder zu begegnen in diesem Leben.

Wir haben es in der Hand.

In den Trennungsschmerz mischt sich die Freude auf ein neues Abenteuer. Marokko, noch 40 h, zwei Nächte. Die Windprognosen mit 3 – 4 bft aus Nord sind perfekt, auch die mit ca. 1,50 m angegebene Wellenhöhe vor Rabat, denn dort herrschen normalerweise 3 – 5 m vor und bei mehr als 2 m kann der Hafen geschlossen sein und wir müssten in diesem Fall 30 sm weiter nach Mohammedia. Wir sind gespannt.

 

Unterdessen sind wir in Rabat-Salé eingetroffen. Bevor wir uns ins Getümmel der Souks in der Medina stürzen müssen wir endlich die Algarve abschließen. Für die Begleiter und Neugierigen auf dieser Seite wird die Vielzahl der Fotos aus den 6 Algarve-Wochen sicher eine Herausforderung an deren Geduld. Tut uns leid, aber geraffter war es uns nicht möglich.

 

(Anmerkung für alle „Bedürftigen“: bekanntermaßen werden in Portugal keine deutschen Gasflaschen befüllt. Nach vielen vergeblichen Versuchen sind wir an der Algarve fündig geworden: in Bouliqueime, zwischen Portimão und Faro, an der Kreuzung N125 – N270 Rtg. Loulé, kleine Autowerkstatt mit GPL- Betankung; 8€ für 5kg)

 

Galerie Lagos:

 

Galerie Fortaleza Sagres und Cabo Sao Vicente:

 

Galerie Monchique:

 

Galerie Silves:

 

Galerie Höhelnbootstour Portimao – Benagil:

 

Galerie Fischerdorf Armacao de Pera:

 

Galerie Weihnachten und Silvester:

 

Galerie Ausflüge an die Westküste:

 

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5 Kommentare

  1. Ach wie schön, ein neuer Eintrag, da legen wir doch die Füße hoch und den Laptop aufs Knie… schön zu lesen, wie ihr beiden mit lieben Leuten aus dem alten (Lebens)Jahr ins neue gekommen seid. Man fühlt sich ja dabei, mit solchen Beschreibungen und Fotos. Danke euch und liebe Grüße aus Hamburg, heute auch mal Sonne. Und gute Reise nach der Winterpause … Jens

  2. Ihr Lieben,
    nun habt ihr hoffentlich wieder Seebeine bekommen. Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht, dazu die Fotos, die mich sofort in angenehmer Erinnerung schwelgen lassen. Schön war es mit Euch.
    Herzlich Conni

  3. WoW, was für ein wunderbarer Eintrag – das kann man ja als Reiselektüre nutzen, Danke für die vielen Tipps und die wunderbaren Fotos!
    Viel Spaß in Marokko wünscht
    Holger

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