Sommer in der Nordbretagne

In der geschützten Bucht vor Audierne ankern wir für eine Nacht neben einem gut besetzten Mooringfeld vor einem breiten, goldgelb in der Abendsonne schimmernden Strand. Es scheint ein beliebter Stopp auf dem Weg nach Norden zu sein. Zur Nacht ist auch der Ankerplatz proppenvoll, als müssten die Seeleute vor der Rundung des „Weltendes“ am Pointe du Raz sich noch einmal sammeln und eine ruhige Nacht genießen. Die schmale Durchfahrt zwischen Festlandspitze und Ile de Sein ist legendär und belegt in Punkto Wrackdichte sicher einen der vorderen Plätze weltweit. Backbord die Ile de Sein, die, flankiert von gewaltigen und alles überragenden Leuchttürmen und massiven Seezeichen, die vor Untiefen und Gefahrenstellen warnen, zur Entdeckung lockend in der Mittagssonne ruht. Next time. An Steuerbord die Landzunge mit den 3 orgelpfeifenden Leuchttürmen, als wollten sie dem Seemann signalisieren sich möglichst fern zu halten. Um uns herum ist die Durchfahrt von Steinhaufen und Felseninselchen und Gefahrentonnen gesprenkelt. In der Tat findet hier ein außerordentlich beeindruckendes und unheimliches Zusammentreffen unserer Seerabauken-Freunde statt: Overfall, Eddy und Rip geben sich auf engstem Raum ein Stelldichein. (die Jungs in genannter Reihenfolge: sich aufbäumende und brechende Wellen an Flachstellen; strömungsbedingte Strudel; oberflächliche Wellengebilde durch tidenbedingt fließendes Wasser gegen Wind und Windwellen). Eigentlich ein unvergessliches Naturschauspiel. Und, haha, je ungünstiger Wetter und Tide umso unvergesslicher. Obwohl wir bei unbretonisch moderaten Bedingungen bei schwachem Wind, natürlich mit dem Strom, und stocknüchtern unterwegs sind, zeichnen wir – den drei Hallodris sei Dank – erstaunlich kühn geschwungene Kurven ins Kielwasser.

 

Sommer in der Nordbretagne

am Pointe du Raz

 

Aber es bleibt ein schöner Törn und wir segeln bis vors Hafentor von Camaret sur Mer, dem hübschen Außenposten an der Rade du Brest, wo wir uns eine Festmacherboje (für den halben Stegplatz-Preis) schnappen. Der Ankerplatz lag zwar nahe, aber wir wollen viel unterwegs sein und bei angekündigten 5 – 6 bft vermittelt eine bewährte Ankertonne bei ständigem tidenstrombedingtem Kreiseln viel Beruhigung. Zum Dinghianleger im Hafen wäre es zwar auch ruderbar, aber der Jockel muss laufen. Die wacker erkämpfte Vergaser-Dichtung passt, die Reparatur dauert 10 Minuten, und nachdem ich der Nervensäge noch eine frische Zündkerze spendierte, springt sie sofort an und läuft, und läuft …

Der Chokeknopf verlangt nach wie vor viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen. Aber so kommen wir nicht schweißnass sondern nur spritzwasserfeucht ans jeweilige Ziel.

Wir bugsieren die Räder an Land und checken im Hafenkontor ein. Fast eine Woche werden wir hier hängen bleiben.

 

Sommer in der Nordbretagne

Traumbucht in Camaret Sur Mer

 

Der ständige Wechsel von südseeschönen Sandbuchten, in denen das Wasser verspielt seine Blautöne inszeniert und grantigen, schroff felsigen Küstenabschnitten, an denen sich auch bei ruhiger See die Wellen mit unaufhörlichem Getöse brechen und Gischtwolken in den Himmel schicken, setzt sich auch hier im Norden fort, und sein einnehmender Reiz scheint unerschöpflich. Auf den Zöllnerpfaden, zu Glanzzeiten des Schmuggels zum Unterbinden des selben vom geldgierigen Sonnenkönig im 17. Jhd. an der gesamten bretonischen Küste angelegt und nun ein schier endloser Wanderweg für Jedermann (für Interessierte: GR 34, 2000 km am vermutlich abwechslungsreichsten Küstenareal Europas) kommt man den grandiosen Naturspektakeln der Atlantikküste per Rad oder per pedes auf einfachste und schönste Art nahe. Von See aus hat man meist nur einen Panoramablick, ohne Tiefe und ohne die weiten Blicke von oben. Auch  sind die Distanzen zum Land zu groß um die Details wahrzunehmen. Zwei Tage tummeln wir uns von Camaret aus entlang dieser Pfade. Wir lieben es. Darüber hinaus hatten wir zwei Ereignisse auf dem Plan: Besuch von Douarnenez anlässlich der „Temps féte“, des großen, alle 2 Jahre stattfindenden maritimen Festivals mit 400 historischen Segelbooten und -schiffen aus Frankreich, Großbritannien und Holland in Bucht und Hafen; und Besuch der Henry-Moore-Ausstellung in Landerneau. Beides liegt auf der Crozon-Halbinsel, unterhalb der Rade de Brest. Naiverweise wollten wir für diese Unternehmungen in Camaret ein Auto mieten. Aber nix da. Nächste Möglichkeit in Brest, wo wir eigentlich nicht hinwollten. Da es auch keine Fähre nach Brest gibt, blieb als einzige Möglichkeit mit den Rädern die 10 km übern Berg zum Fähranleger La Fret zu fahren, diese dort sicher zu parken, mit der Personenfähre nach Brest, Klein Adam Opel übernehmen, und das Ganze übermorgen retour. Das hat auch alles perfekt funktioniert, auch wenn wir mehrfach durchweicht wurden, da sich unterdessen das bretonisch launische Wetter durchgesetzt hatte.

Schon seit Tagen begegneten wir immer wieder den schwimmenden Teilnehmern der großen Boots-Fete auf ihrem Weg nach Douarnenez. Das Fest der Segel-Oldtimer mit Flottillenfahren, Manövershow und „Schaulaufen“ vor der Besuchertribüne war eine nicht enden wollende Augenweide. Stundenlang gluckten wir auf der überfüllten Mole und bestaunten hingerissen die hölzernen Schmuckstücke, zumeist ehemalige Fischer- oder Frachtboote, liebevoll restauriert und/oder in Stand gehalten. Wir bewunderten die Gelassenheit, mit der die Steuerfrauen und -männer ihre schwerfälligen Kisten in dem unübersichtlichen Gewusel bei flotter Brise sehr gekonnt umeinander manövrierten. Die Atmosphäre war einzigartig. Gleichermaßen ein wahres Fest für maritime Enthusiasten und ein Vergnügen für die ganze Familie. Die unzähligen Fressbüdchen vermochten mit überraschenden Spezereien auch die Gaumen in Verzückung zu versetzen. Einer der Höhepunkte war die allabendlich stattfindende „Godille-Wettfahrt“. Experten ist diese Art des Ruderns sicher als „wriggen mit Drehung“ bekannt. Die Boote haben nur ein gerade nach hinten zeigendes Ruder, das zum einen aus dem Handgelenk um die Achse hin- und hergedreht und gleichzeitig seitlich hin- und herdrückend bewegt wird. Es sieht aus als taugt das Gerühre mit dem einen Paddel bestenfalls zum Fische verjagen oder schaumschlagen, aber nein, die Burschen kriegen richtig Tempo drauf, und selbst die tonnenschweren historischen Langustenfänger haben eine Dolle am Heckspiegel und werden – natürlich langsam – „godillt“. Alle Seebretonen beherrschen das von Kind an. Als wir diese eigentümliche Fortbewegungsart erstmalig im Hafen von Vannes beobachteten, nahmen wir an, der Angler hat ein Ruder verloren oder braucht eine Hand frei zum Rauchen. Unsere bretonischen Freunde klärten uns rasch auf und mittlerweile haben wir auch schon einige Meter „godillend“ bewältigt.

Aber auch ohne Festival ist Douarnenez jederzeit einen Besuch wert.

 

Sommer in der Nordbretagne

Temps fête in Douarnenez

 

Nach Landerneau lockte uns tatsächlich nur der von mir verehrte Henry Moore. Die Ausstellung allein lohnte war Fahrt. Nicht zu erwähnen, dass auch in Landerneau ein Tagesstopp rechtfertigt, hieße dem hübschen Ort Unrecht tun. Ja, die Bretagne ist auch Kulturland. In fast allen von uns besuchten Orten konnten wir „Kunst im öffentlichen Raum“ bewundern, meist Fotos und Skulpturen, in exzellenter Qualität, liebevoll und gekonnt an Hausfassaden, in Gärten und auch auf Flüssen präsentiert. So gab es immer wieder schöne Überraschungen hinter der nächsten Hausecke und jeder Umweg, auch der unfreiwillige, offenbarte seine erfreuliche Seite.

 

Sommer in der Nordbretagne

Henry Moore in Landereau

 

Nach der Adam-Retoure in Brest entflohen wir dem Dauerregen bis zur Abfahrt der einzigen Fähre ins Marine-Museum in der alten Festung. Die Stadt selbst hat kaum Sehenswertes. Bei ihrer Befreiung 1944 ist hier sprichwörtlich kein Stein auf dem anderen geblieben und die Stadt nach dem Reißbrett in 50er Jahre-Beton sehr „charmefrei“ wieder auferstanden worden. Unsere Klappräder erwarten uns am Hafen La Flet und ein Stündchen später hocken wir zufrieden beim Gläschen Roten im Salon des an der Tonne zappelnden FreiKerl. Das Sch..Wetter hält sich gottseidank auch noch am Montag und zügelt unseren Entdeckerdrang. Zeit den blog-Rückstand aufzuholen. Gleichwohl, zwecks Einkauf, Galette und Panaché, und letztlich Radverschiffung ist ein kleiner Landgang bzw. Landfahrt unumgänglich.

Dienstag: salut Camaret, bis zum nächsten Mal. 35 sm bis L‘Aber Wrac`h, vorbei am westlichsten Kap Frankreichs (außer Inseln natürlich) Pointe de St.-Mathieu. Auch hier ist das Finistère, das wahre Finistère, zuverlässig und erwartet uns bei schönstem Segelwetter mit aberwitzigen Strömungen, die den ganzen Steuermann erforderten. Mitten drin erstirbt der Wind, wie von Strudeln verschluckt. Die auf dem äußersten Felsplateau thronende riesige Ruine der Abbaye St. Mathieu ist flankiert von beeindruckenden Leuchttürmen. Ein eigentümliches Gebäudeensemble. Als heben die beiden so irdischen Türme die Gottverlassenheit der Kathedrale auf.

 

Sommer in der Nordbretagne

Westlichstes Kap von Frankreichs Festland

 

Sommer in der Nordbretagne

Hafeneinfahrt L’Aber Wrac’h

 

Unsere Aufenthalte werden spürbar kürzer. In L‘Aber Wrac`h radeln wir ein paar Stunden durch typisch bretonische Küstenlandschaft, inspizieren das Örtchen nebst Bäcker und machen uns – mittels des einzigen miserablen Hafenmanövers der bisherigen Reise – am Nachmittag „auf die Segel“ nach Roscoff. Der Kontakt mit FreiKerls Anker hat unseren Freund Geoff aus Brixham bei Plymouth den neuen Rettungskragen gekostet. Mit der nachvollziehbaren Begründung, dass ein solches Rettungsmittel für ihn als Solosegler denkbar überflüssig sei, lehnte der verschmitzte Brite unser Ersatzangebot ab. Beim Wiedersehen in Roscoff hatten wir ausgiebig Gelegenheit uns bei Geoff zu „entschuldigen“.

Roscoff ist touristisch, hat eine sehenswerte Altstadt, eine schicke Marina, ein Hafenrestaurant, dem man seine Güte nicht ansieht und einen Großhandel für Meeresgetier, bei dem „Otto Kleinverbraucher“ auf Wunsch auch einzelne Krabbenscheren kaufen kann. Was braucht der Bretagne-Liebhaber mehr. Und auch hier in der hyggeligen Landschaft am Nordwestende Frankreichs: Radeln macht die Wadeln stark, und obendrein noch Spaß.

 

Sommer in der Nordbretagne

Altstadt Roscoff

 

Zur gegenüberliegenden Badeinsel Ile de Batz ließen wir uns mit der kleinen Fähre bringen und durchstreiften das idyllische Eiland auf Schusters Rappen. Vom „Batzer Leuchtturm“ war das mit Gefahrentonnen gespickte und zu einem Slalomkurs gesteckte Fahrwasser gut auszumachen. Hier sind wir also durch, und wir haben es überlebt. Beim nächsten Mal werden wir uns in der sandigen Bucht vor der Uferpromenade trockenfallen lassen, versprachen wir uns übermütig.

 

Sommer in der Nordbretagne

Hafenidylle Ile de Batz

 

Drei vollkommen vernebelte Tage schränkten leider unseren Aktionsradius und auch unsere Weiterfahrt etwas ein, kamen aber der Liebe sowie der Verringerung der blog-Lücken zugute. Auch hatte die Skipperin wieder einige Stunden zu arbeiten, was leichter fällt, wenn die Sonne nicht zum Ausfliegen verlockt. Trotz immer noch trüben Aussichten verlegten wir uns nach fünf Tagen 17 sm weiter westwärts an ein stilles Ankerplätzchen vor der Ile Milliau bei Trébeurden. Ausnahmsweise ohne Landgang zogen wir schon am nächsten Morgen den Anker hoch und weiter an der rosa Granitküste entlang zur Ile de Bréhat, deren Ankerplatz wir nach Gewitterfahrt im Starkregen und bei strammem Wind fünf Stunden später erreichen. Wir brauchen eine Stunde und 3 Versuche um den Anker fest zu bekommen. Die Inselzubringerfähren donnern durch das dichte Ankerfeld, stellen aber ab 19 Uhr die Pendelei ein. Es steht ein üppiger Schwell in der Bucht, FreiKerl zupft unermüdlich an der Kette und tanzt munter mit seinen Artgenossen in Wind und Strom. Diese zauberhafte Insel hatte Anke, die mit Atze und Ute vor 2 Jahren hier schon für 2 Tage am Anker hing, in den lebhaftesten Farben geschildert und mir den Mund entsprechend wässrig gemacht. Und sie hat nicht übertrieben. Die autofreie „Bréhat“ vereint womöglich alles auf kleinstem Raum, was man an der Bretagne so schätzt: wundervolle Gebäude in typischem Granit-Naturstein, von heimeliger Fischerkate bis zum vornehmen Herrenhaus, verwunschene Gärten mit überbordender Blumenpracht und naturbelassenen parkartigen Anlagen hinter alten Natursteineinfriedungen. Alles wirkt ungekünstelt, als wäre es schon immer so gewesen und würde immer so sein. Gewundene Inselwege laden zum Schlendern über die Hügel ein. Die Aussicht am Nordleuchtturm „Paon“ auf die noch regenfeuchten in der Abendsonne glänzenden rosafarbenen granitenen Gestade ist überwältigend. Kleine sandige Strände drängen sich zwischen sperrige Felsbuchten. Und überall blitzen die geschwungenen weißen Dreiecke der zahllosen Segler auf dem Atlantikblau. Im Dörfchen laden gemütliche Bars und Restaurants zum Verweilen ein. Der Dorfkonsum versorgt mit dem Nötigsten. Nur die Bestände der Fahrradverleiher scheinen mir deutlich zu groß. Aber die Insel ist klein, nach 2 Tagen erkundet und doch auf der langen “Kommen wieder – Liste“ vermerkt. Das ausgegebene Ankunftsdatum duldet keine Schlampereien mehr. Das Wetter passt. Auf ins Wasserreich des Königs von Auxcrinier. Nächster Stopp ist Guernsey. Ahoi.

 

Sommer in der Nordbretagne

Rosa Granitküste Ile de Brehat

 

Galerie Camaret Sur Mer:

 

Galerie Landereau, Abbey, Brest:

 

Galerie Locronan:

 

Galerie Temps fête Douarnenez:

 

Galerie L’Aber Wrac’h:

 

Galerie Roscoff:

 

Galerie Ile de Batz:

 

Galerie Ile de Brehat:

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