Im Inneren eines Bootes hört sich das Geräusch der Schiffsschrauben der großen vorüberfahrenden oder anlegenden Kreuzfahrt- oder Cargo Schiffe unbekannt, laut und beängstigend an. Nicht nur das Meeresgetier leidet darunter – wir auch. Davon aufgeschreckt, besuchen wir nach kurzem Schlaf das Hafenamt, um uns anzumelden und die moderate Hafengebühr zu entrichten. Im Vorfeld hatten wir schon den Behörden wie Zoll, Border-Police und Immigration (bei mir alle zusammen nur kurz „Border Collies“ genannt) all unsere Daten per Internetformular gesandt. Unter anderem müssen wir auch die Abfahrtszeit im Ausreiseland (Norwegen) und die vermutliche Einreisezeit in Großbritannien auf zwei Stunden genau angeben. Änderungen müssen umgehend gemeldet werden und zwei Stunden vor Einreise soll die genaue Ankunftszeit übermittelt werden. Wie das auf See funktionieren soll, wird nicht gesagt. Jedenfalls versuchen wir mit den „Border Collies“ Kontakt per Telefon aufzunehmen. Die Hafenmeisterin meint, dass es für die Einreise auf den Shetlands nur einen Beamten gibt und ob der uns besuchen wird, könne sie nicht sagen. Wir möchten gerne das Schiff verlassen und die gelbe Quarantäneflagge unter der Gastlandflagge der Steuerbordsaling herunternehmen. Wieder an Bord klingelt mein Telefon, eine junge gut verständliche weibliche Stimme begrüßt uns in Great Britain und fragt, ob alles in Ordnung ist, wir etwas zu verzollen hätten und wann und wo wir Great Britain wieder verlassen wollen. Mit unserer Beantwortung dieser wenigen Fragen und ihrem Hinweis auf das bestehende Arbeitsverbot, ist das Einreiseprozedere erledigt und wir können uns frei bewegen. So einfach kann`s gehen und arbeiten wollten wir hier ohnehin nicht!
Lerwick, die Inselhauptstadt, ist beschaulich, hat viele kleine Pubs, Cafés, Fish & Chips Buden, Restaurants, eine Einkaufsstraße mit einigen Souvenirläden und Banken. Die Leute sind freundlich, sprechen uns auf woher und wohin an und entschuldigen sich, dass die Tourist Information geschlossen ist und auch das Café im Museum gerade kein Personal hat und deswegen keinen Kaffee servieren kann. Im Moment legen über 100 Kreuzfahrtschiffe jährlich, vornehmlich in der Sommerzeit hier an und verhelfen den örtlichen Händlern zu erkläglichen Umsätzen. Ansonsten gibt es einen riesigen Hafen und die damit zusammenhängenden meist unansehnlichen Gewerbegebiete. Am nächsten Tag setzen wir uns in den Linienbus und unternehmen einen Ausflug bei schönstem Sonnenschein an die Südspitze Shetlands. Wir besuchen die Ausgrabungsstätte „Jarlshof“. Vor über 4000 Jahren ist hier eine kleine Siedlung entstanden und in den folgenden Jahrhunderten wurde diese Siedlung immer wieder überbaut und verändert. Die Wikinger vertrieben die ursprünglichen Siedler aus ihren Rundhäusern, raubten ihr Land und bauten ihre Langhäuser. Der „Jarlshof“ lag an der Handelsroute von Island nach Nordeuropa, den Niederlanden und nach Deutschland. Im Lerwicker „Shetland Museum“ gibt es dazu eine interessante Ausstellung. Im 19. Jhdt. sind die letzten Bauten der Siedlung bei einem Sturm zerstört worden. Das Leben war hart und entbehrungsreich auf den Inseln. Etwa vergleichbar mit dem Leben auf unserem FreiKerl.
In Thyborøn haben wir die Besatzung der „GRY“ kennengelernt. 4 junge Leute zwischen 20 und 21 Jahren auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und nach der eigenen Zukunft. Cornelius (der Bootseigner), Paula, Alberte und Aksel. Aksel hat gerade seinen Wehrdienst beendet, die anderen drei jobben seit dem Schulabschluss in Supermärkten und alle wissen nicht, wie es in ihrem Leben weitergehen soll. Sie sind keine Paare, aber die zwei Kabinen des Bootes und der unvermeidbar notwendige Ausgleich des Hormonhaushaltes legen nahe, dass man die Kabinen zumindest während der gemeinsamen Segelzeit gemischt nutzt. Cornelius, der Skipper und Frontmann, macht einen blitzgescheiten Eindruck, ist freundlich, witzig und charmant, wie man es einem 20-Jährigen nicht zutraut. Aber auch seine Mitstreiter sind interessiert, offen und neugierig. Er kann der Schule nichts Interessantes abgewinnen und wollte nach der 9. Klasse nicht weitermachen. Wir redeten kurz in Thyborøn auf der Mole und freuten uns auf ein eventuelles Wiedersehen in Norwegen oder gar auf den Shetlands. Die „GRY“ hat einen ähnlichen Fahrplan wie wir. Wir sehen unseren gegenseitigen Standort auf AIS, sind uns aber nicht wieder begegnet. Erst in Skudehamnliegt die „GRY“ wieder neben uns und wir freuen uns über ein Wiedersehen. Cornelius will von Skudehamnauf die Shetlands, wir fahren erst nach Utsira und dann weiter. Auf dem Weg nach Lerwick hören wir immer wieder, wie die „GRY“ über Funk von den Ölplattformen und anderen Schiffen angefunkt wird. Die Jungs machen sich einen Spaß daraus, von möglichst vielen Schiffen angerufen und aufgefordert zu werden, ihren Kurs zu ändern. Bei der Einfahrt nach Lerwick sehen wir auf AIS, dass die „GRY“ nur wenige Seemeilen neben uns segelt und etwa eine Stunde später in Lerwick eintreffen wird. Dieses Timing will begossen werden. So verbringen wir einen feucht-fröhlichen Abend im „Lerwick Boating Club“, wo das Bier und der Whisky sehr gut und preiswert sind. Wir reden endlos über DDR, Wende, eingesperrt sein, Sozialismus, Jugend, Geldverdienen, Familie, Lebenssinn, Krieg und Frieden, etc. Die Qualität unseres Englischwortschatzes zeigt uns die Grenzen unserer Ausdrucksmöglichkeiten. Aber Cornelius hat einen deutschen Vater und die Mutter war Deutschlehrerin, er versteht fast alles und übersetzt dann ins Dänische oder Englische. Mit 16, nachdem er die Schule verlassen hat, kaufte er sich sein erstes eigenes Segelboot und ging im Supermarkt jobben, um das zu finanzieren. Vor anderthalb Jahren hat er dann die „GRY“ erworben, um Geld zu sparen lebt er nun Sommer wie Winter auf dem Boot in Åhus und arbeitet wieder im Supermarkt. Segeln hat er beim Mitsegeln auf anderen Booten und auf YouTube! gelernt. Wir konnten es nicht glauben. Nach dem geselligen Beisammensein im „Boating Club“ luden uns die Vier zum Pizzaessen am nächsten Abend auf ihr Schiff ein. Wir haben den Wein spendiert und dafür Pizza in allerbester Qualität bekommen und einen lustigen kurzweiligen Abend verlebt. Auch wenn die 4 noch nicht wissen, wie es in ihrem Leben weitergeht, so sind wir uns sicher, dass sie alle Untiefen umschiffen und ihren Weg finden werden. Nina hat jetzt vier Adoptivgeschwister!
Am Samstag früh schiebt sich ein Tall Ship durch den Nebel vor dem Albert Dock und macht mit Hilfe von 2 Schleppern an der 50 m entfernten Außenpier fest. Die „Gorch Fock“, das Ausbildungsschiff der Bundeswehr macht sich hafenfein und schmückt sich mit dem, „über die Toppen“ gezogenen Flaggenalphabet. Endlich ist ein 2. deutsches Schiff im Hafen. Wir waren allerdings vor ihr da!
In der kommenden Woche findet die Regatta Bergen – Lerwick – Bergen statt. Um die Regattateilnehmer nach ihrer Ankunft zu beherbergen wird der Hafen gelehrt. Wir müssen weiterziehen. Ohnehin war der Hafen so unruhig und die rücksichtslosen Fährkapitäne haben derartigen Schwell im Hafenbecken verursacht, dass es bei beim Einrucken der Festmacher eine mit 3 Schrauben befestigte Lippklampe aus dem Aluminium gerissen hat. Auch wollen wir endlich mal wieder Ankern.
Nach Whalsay
Im Cat Firth, 7 sm nördlich schlängeln wir uns durch Muschelfarmen und lassen am Ende der Bucht den Anker fallen. Es ist windig und feucht. Die ganze Nacht flattert und klappert irgendwas am Boot, die Lifeline schlägt aufs Deck und der Wind heult in den Wanten. Ich ziehe aus der Bugkabine aus und versuche die Ursachen zu finden. Aber nur mit einer dünnen Jacke bekleidet habe ich nicht viel Geduld und nächtige im Salon, wo es ruhiger ist. Ute verstopft sich allabendlich die Gehörgänge mit Ohropax und bekommt von all dem Theater wenig mit. Am Morgen wabert dicke Nebelsuppe durch die Bucht, es regnet und wir müssen warten, bis wir wieder etwas sehen können. Schietwetter! Viel Wind ist prognostiziert und wir verholen uns in den Hafen der 12 sm entfernten Insel Whalsay. Wir machen an der Pier fest, die mit großen LKW-Reifen abgepolstert ist. Wegen des Tidenhubs (ca. 1,4 m) suchen wir uns eine Leiter, damit wir auch noch bei Ebbe auf die Mole kommen. Dementsprechend müssen die Festmacher eingestellt werden. Wenn man diese zu kurz bindet, hängt FreiKerl ansonsten bei Ebbe in der Luft. Laut Hafenhandbuch kann man in „Boating Club“ duschen. Da der Club auch als Insel-Pub fungiert, müssen wir warten, bis dieser öffnet. Die jungen Mädchen hinter der Bar kennen die Regelung nicht, räumen aber die Dusche schnell leer, die wohl seit Monaten als Lagerraum für Abfälle, Leitern und andere Utensilien dient. Während Ute den Anfang macht, quatsche ich mit dem Bartender. Sie kommt von der Insel und hat Semesterferien. Sie studiert an einer schottischen Uni Regie. Und sie hofft, dass sie einmal in einem richtigen Film Regie führen kann. Whalsay hat ca. 700 Einwohner, leicht zunehmend, da Grund und Boden recht preiswert sind und viele Neubauten für Familien entstehen. Richtig Sommer ist es wohl maximal 1 Woche im August, ansonsten ist das Wetter, wie wir es kennen. Im vergangenen Winter gab es so viel Schnee, dass sie 1 Woche ohne Energieversorgung ausharren mussten. Aber die Insel ist entspannt und friedlich. Sie meint: „Baden kann man auch im 10 Grad kalten Wasser. Das machen alle hier… (Wir nicht!) Auf dem Weg zum Pub, lief ein Fischerboot im Hafen ein und machte direkt vor uns fest. Ich fragen den Decksmann, ob sie Muscheln geerntet haben. Ja, Scallops (Jakobsmuscheln). Auf meine Frage, ob man diese irgendwo kaufen könnte, verneinte er, da alle schon fertig verpackt seien. Wenn wir allerdings am folgenden Abend noch da seien, würde er uns einige geben können. Wir freuen uns schon den ganzen Tag während unserer Wanderung über die Insel darauf. Am nächsten Tag schenkt er uns 40 wunderbare Jakobsmuscheln und wir versuchen uns mit einer Flasche Wein ehrlich zu machen. Die Kombüse verwandelt sich in eine Sternekochkünstlerin und wir schwelgen in 7. Jacobsmuschelhimmel!
Bei Sonnenschein ist die karge, baumlose aber satt grüne Landschaft der Inseln wunderschön. Allerdings bei Nebel, Regen und Wind auch verstörend grau, unwirtlich und lebensfeindlich. Dies beiden Extreme wechseln sich nahezu täglich ab. Eigentlich ist es mit 15° nicht unangenehm kalt im FreiKerl, aber früh und abends lassen wir die Heizung zur Gemütlichkeit beitragen. Wenn Ute abends zu mir in die Koje kriecht, verursachen ihre kalten Hände und Füße zuweilen Gefrierbrand auf meiner Haut.
Wir wandern über die Insel. Als wir nach etlichen Kilometern wieder vollkommen groggy im Hafen ankommen, werden wir von einem Mitarbeiter der Hafenbehörde angesprochen, weil das Boot eines schwedischen Seglers und FreiKerl recht weit auseinanderliegen und viel Platz einnehmen und wir doch bitte bei längerem Aufenthalt dichter zueinander rücken sollen. Jedoch haben wir dann keine Leiter mehr, um an Land zu kommen. Wir quatschen kurz und beantworten seine dienstlichen Fragen, er verabschiedet sich freundlich, fährt los, setzt wieder zurück und verwickelt uns in ein privates Gespräch. Dabei betont er unentwegt, dass, wenn wir keine Lust zum Reden haben, das kein Problem sei, wir können ruhig aufs Boot gehen. Nachdem er erfahren hat, dass wir Deutsche sind, breitet er seine gesamte Biografie vor uns aus. Er, Rudi, hat einen deutschen Vater aus Wittenberg, der vor dem Mauerbau nach Südafrika ausgewandert ist, dort geheiratet hat, 1978 ist er geboren, Ende der 90er Jahre ist er nach England und Irland gegangen, hat eine Frau aus Lettland geheiratet und lebt nun auf den Shetlands und hat einen Onkel in Stuttgart. Er ist für die Technik und Sicherheit von 9 Häfen auf 5 Inseln verantwortlich, holt jetzt seine Tochter von der Klassenfahrt ab. Er fragt uns und wir erklären ihm, wie es war Ossi zu sein und nach 25 Minuten Gequatsche auf der Mole bei laufendem Moter verabschiedet er sich von uns, weil die Fähre mit seiner Tochter kommt, setzt dann erneut zurück, springt wieder aus seinem Caddy und umarmt uns zum Abschied. Weg ist er! Sicherlich gibt es selten „Frischblut“ auf den Inseln, doch die Herzlichkeit und Unvoreingenommenheit, mit der wir angesprochen und begrüßt werden, macht uns immer wieder sprachlos. Bei zwei längeren Wanderungen über die Insel haben wir vermutlich schon einen Großteil der Schafe und Ponys gezählt und so beschließen wir weiterzuziehen. Nordöstlich Whalsay vorgelagert liegt die kleine Inselgruppe Out Skerries. Mittig der vier Inseln befindet sich ein kleiner Anleger. Wir machen an einer vergammelten Stahlspundwand fest. Es gibt große Gummirohre, die FreiKerl vor dem Metall schützen sollen. Unser Fenderbrett kommt endlich zum Einsatz. Das britische Königshaus hat diese Inseln vermutlich vergessen. Vor 40 Jahren lebten hier noch 100 feste Einwohner. Es gabt eine Schule, einen Einkaufsladen, eine Fischfabrik. Heute leben wohl noch 30 Leute auf den Inseln, die Schule ist geschlossen, die Fischfabrik ist zu und überall gammeln an den Ufern die Hinterlassenschaften der Fischindustrie und das Meer spült während der Stürme Unmengen an Fischereimüll (Netze, Fässer, Leinen, Styropor, etc.) an die Ufer der ansonsten malerischen Buchten. Trotz dieses Trauerspiels ist die Landschaft grandios! Viele Vögel nisten in den Klippen und versuchen uns durch ihre lauten Schreine und angedeutete Angriffsflüge von ihrem Gelege zu vertreiben. Die Robben sehen unser Dasein gelassener und beäugen uns neugierig. Wir freuen uns über das sonnige und warme Wetter, so dass wir sogar die 2. Jacke auf unserer Wanderung ausziehen können. Die 32 sm entspanntes Segeln zurück nach Lerwick bei strahlendem Sonnenschein und anfänglich wenig Welle machen uns großen Spaß. Unsere Route führt uns am Vogelfelsen der Insel Isle of Noss vorbei. Diese Vogelbrutplätze zu sehen, ist eine wesentlicher Motivationsbestandteil für unsere Reise in den Norden. Tausende Basstölpel, Eissturmvögel, Trottellummen und Puffins flirren durch die Luft, gleiten nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche und begleiten FreiKerl durch die See. Es ist ein magisches Schauspiel und wir können uns nicht sattsehen. Wir laufen Lerwick an, in dessen Hafen immer noch die Flotte des Shetlandrace lagert und die begehrten Schwimmstegplätze blockiert. Für die Nacht gehen wir an der, unter deutscher Flagge segelnden „Miss Suma“ von Susanna und Manni längs und wir quatschen den ganzen Abend bei uns im Salon. Das deutsch/schweizer Paar hat vor 5 Jahren segeln gelernt, sich vor 3 Jahren eine Beneteau 44CC gekauft und probiert nun das Langfahrtleben aus. Ursprünglich hatten sie den ambitionierten Plan nach Island zu segeln und dann den Winter in Spanien zu verbringen. Die Pläne sind der Realität gewichen, und nun sind die Shetlands auch für sie der nördlichste Punkt ihrer Nordatlantikreise.
Auch wenn wir noch Wochen und Monate auf den Shetlands verbringen könnten, so ist unser Halbjahrestörn dennoch zeitlich begrenzt. Außerdem haben wir am 15. August mit Nina, Julian und Alma eine Verabredung in Oban. Daher werden wir uns wieder nach Süden verholen, um auf Mainland noch einige Erkundungen zu unternehmen und auf das passende Wetterfenster zur Überfahrt auf die Orkneys zu warten.












































Hallo Ihr Lieben, herzlichen Dank für eure tollen Reiseberichte und Fotos. Genieße es sehr. Habt noch einen schönen Turn und Allzeit gute Fahrt. Liebe Grüße Daniel
Wieder ein super Bericht. Dann müssen wie Shetlands doch noch demnächst nachholen.
Wir sollten wieder mal telefonieren!
LG von der Taras Crew