Westray – Heimatrevier

Ein Tief nagelt FreiKerl an den Steg in Kirkwall. 48 Stunden heult und pfeift es, die Fender knarzen, Wellen schlagen gegen den Rumpf und ich lege noch eine zusätzliche Leine. S`schbladaddard sagt der Sachse! Während solcher Zwangsstopps treffen sich alle Segler unvermeidbar zum Schnack auf dem Steg über Woher, Wohin, hast Du Seekarten oder Handbücher, Schietwedder, etc.. Es liegen 5 deutschbeflaggte Boote im Hafen, jemand regt an sich abends im Pub zu treffen. Eigentlich sind wir keine Freunde nationaler Stammtische, aber wir gehen mit und es wird ein ganz netter Abend. Der Bierkonsum ist auffallend gering und nach zwei Bier in knapp 4 Stunden haben wir 100% mehr konsumiert als der Rest der Bande und ich komme mir wie ein Spritter vor. Der Wirt tut mir leid – too little drinking is killing Gastwirt! 

Der Wind ist weg, wir wollen wegen der Strömung abends los, steigen in unserer Seglerrüstung, lösen den Landstrom und: Es schüttet wie aus Eimern, starker Wind drückt uns wieder an den Steg, meine Laune ist sichtlich unterirdisch, ich weiß nicht, wie ich FreiKerl unter diesen Bedingungen karambolagefrei vom Steg lösen soll. Wir beschließen am nächsten Morgen zu fahren, machen wieder Strom für „Heiko“ – den Warmluftpuster, pellen uns aus den Segelanzügen und legen uns mit einem Buch in den Salon. Wohl dem, der Zeit hat!

Dienstag, 0600, die Sonne lacht, los geht’s. Unter Genua sausen wir vom Strom beschleunigt mit über 8 Knoten Richtung Westray, der nordwestlichsten Insel der Orkneys, die uns von mehreren Locals als Geheimtipp empfohlen wurde. Es gibt auf der Route einige Engstellen, bei denen Freikerl so versetzt wird, dass wir über 40° gegensteuern müssen. Das ist spannend, weil der Bug des Bootes immer in eine andere Richtung zeigt, als eigentlich der Verlauf des Kurses ist! Wir rauschen an karibisch leuchtenden Sandstränden vorüber, Kegelrobben räkeln sich mit Ihren Jungen träge in der Sonne, blinzeln uns müde zu und die Seevögel begleiten uns kreischend und beeindrucken mit ihren Flugkünsten. Nach 4 Stunden sind wir im 25 sm entfernten Pierowall und gehen an den kleinen Schwimmsteg im Fischereihafen. Wir machen FreiKerl fest und 2 Minuten später fragt uns ein älterer Fischer, ob wir Lobster haben wollen und wenn ja wie viele. Natürlich wollen wir und sie landen bis zum Abend im „Bottsch“. Er will nichts dafür, meint nur, wenn wir sie nicht essen, sollen wir die Gummis von den Scheren abmachen und sie wieder ins Wasser setzen. Wir haben sie ins „sprudelnde Wasser“ gesetzt und sie haben mit Zitronenbutter, Salat und Bruschetta traumhaft geschmeckt. Ute schleppt mich natürlich gleich zum örtlichen Castle und wie zu erwarten können die „Orkneysen“ nichts erhalten, das Gemäuer aus dem 16. Jhdt. war ganz schön kaputt, aber interessant und einige Teile waren auch noch zu begehen. Das habe ich schon schlimmer gesehen. Im örtlichen „Inselüberlebensstore“, der Baumarkt, Drogeriemarkt, Papeterie, Getränkemarkt, Lebensmittelmarkt, Haushaltswarenladen, Autovermietung, Fahrradverleih und Taxiunternehmen gleichzeitig ist, erfahren wir, dass der einzige Leihwagen gerade kaputt ist, aber der Chef uns gerne irgendwohin fährt. Wir verabreden uns für den nächsten Tag um 1000, damit wir zum Ausgangspunkt der Rundwanderung zum „Noup Head Lighthouse“ chauffiert werden. Wir haben im (Windschatten) immer noch sommerliche Temperaturen und die Sonne begleitet uns von früh bis spät. Wir laufen den Küstenwanderweg an senkrechten Steilküsten mit riesigen Brutkolonien von Basstölpeln, Trottellummen, Puffins, Gryllteisten mit ihren roten Füßen, Mantelmöwen, Eissturmvögeln, Schwarzkopf- und Dreizehenmöven u.v.m. entlang. Die bösen Skuas versuchen ständig die Nester zu plündern und es gibt riesigen Rabatz. Wir könnten stundenlang dem Treiben gebannt zusehen, wobei der Guanogeruch die Euphorie über das einzigartige Naturerlebnis etwas schmälert. Wir lassen uns vom Taxi wieder zur vereinbarten Zeit abholen und auf dem Weg zum Boot machen wir einen Einkaufsstopp am „Inselüberlebensstore“. Eine gute Chance unsere Wasserflaschenvorräte aufzustocken, ohne 24 l Wasser 3 Km am Strand entlang zu schleppen. 

Allabendlich beobachten wir die Rückkehr der Fischer, die meist um 0600 schon auslaufen  und 12 Stunden später wieder anlegen. Sie landen Lobster, Crabs, Scallobs und Riesenmuscheln an. Ein größeres Unternehmen produziert „Bio-Lachs“. Die Fischer sind freundlich, gut gelaunt und scherzen auch noch nach mehr als 12 Stunden härtester Arbeit.  Auch der Busfahrer, der uns mit dem Insellinienkleinbus am Wanderweg zu einer der größten Brutkolonien von Papageientauchern (Puffins) in Schottland absetzt, ist gesprächig und freundlich. Er wird uns auch wieder hier, mitten in der Pampa abholen, wenn wir an der Straße stehen. Vielleicht liegt das auch an dem außergewöhnlich sonnigen und warmen Wetter, aber auch an dem einfachen, arbeitsreichen Inselleben, welches ganz andere Prioritäten abverlangt. Die Nachrichten und Entwicklungen auf der Welt erscheinen hier vollkommen nebensächlich und irrelevant. Wir wandern den Küstenwanderweg nach Rapness, dem südlichen Fähranleger der Insel. Ganze 3 Häuser stehen dort und in einem haben die Besitzer vor 17 Jahren ein kleines Café eröffnet. Da sich die Sonne nun hinter Regenwolken versteckt, sind wir froh, dass geöffnet ist. Wir sitzen in der Veranda des Hauses und werden von einem baumlangen, bärtigen, bezopften, schwarz gekleideten älteren Herrn (wir schätzen ihn auf Ende 60) freundlich willkommen geheißen. Wir essen selbst gebackenen Kuchen und trinken Tee. Er setzt sich zu uns und erzählt kurz seine Lebensgeschichte, fragt nach unserer Tour und erklärt, dass er vor 25 Jahren sein Haus in Manchester verkauft hat und wegen der Liebe hierhergezogen ist. Seit 17 Jahren arbeitet er als Heavy Metal DJ. Seine Plattensammlung umfasst 11000 Vinyl-Scheiben und ist Streitthema mit seiner Frau, weil er diese auch fast alle hört. Westray hat 600 Einwohner und einen Heavy Metal DJ. Schade, dass wir nicht weiter eintauchen können ins Inselleben, aber in den nächsten 2 Tagen wird uns der Regen auf die Salonpolster legen und am Sonntag kommt für anderthalb Tage Nordwind, den wollen wir nutzen, um auf die Äußeren Hebriden zu segeln. Ute und ich sind uns einig, die Orkneys gehören zum Heimatrevier und wir könnten uns vorstellen, nochmals hierher zu segeln. 

Dann werden wir auch den weltweit kürzesten Linienflug nehmen. Zwischen Westray und Papa Westray unterhält „Loganair“ seit 1967 eine Fluglinie, die mit 2,73 km Länge und einer Flugdauer von ca. 2 Minuten, der kürzeste Linienflug der Welt ist und der seit 1974 im Guinness-Buch verbrieft ist.

1 Kommentar

  1. Mensch, bei dem ganzen sächsisch kriegt man fast das Gefühl, dass bei euch Heimweh aufkommt.
    Morgen steht der Beratungstermin mit Rudi an. Der Außendienstler war ja wieder nur telefonisch erreichbar.
    Neidische Grüße von Tonya und mir

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