Hochsommer auf den Äußeren Hämorriden

Wir melden uns bei den Hafenheinis auf Kanal 12 über Funk, um unsere Abreise kundzutun.  Die Marina Crew glaubt, dass der Stornoway Harbor „very busy“ ist, nur weil hier am Tag 2 Fähren kommen und gehen, eine Handvoll Fischer und ebenso viele Segler aus- und einfahren. Manchmal kommt auch ein Kreuzfahrtschiff. Aber wir haben bei unserer Ankunft als einziges Boot in 5 sm Umgebung, früh um 0600 Uhr, unseren Anschiss schon abgefasst, weil wir sie nicht angefunkt haben, so sind wir artig und bitten um Erlaubnis, den Hafen verlassen zu dürfen. „Yes, but be careful!“ war die Antwort der wichtigen Person am anderen Ende. 

Flaute! Die See liegt wie gegossene Bleifolie. Erstmals während dieser Reise haben wir keine Seglerrüstung an. Jeans, Pullover, Basecap und Sonnenbrille. Der Fuß trägt Crocs. Die Sonne leuchtet tief ins nahezu unbewegte Wasser und es dauert nicht lange, da tauchen erste Rückenflossen aus der türkisen-blau-grauen, leicht wogenden Fläche auf, durch die Freikerl sich plätschernd den Weg bahnt. Mink Wale, ein Buckelwal, Delfine, Schweinswale, Kegelrobben und unzählige Seevögel begleiten uns auf unserer 5-stündigen Motorfahrt nach Süden in die Nordbucht der Insel Scalpay, welche zwischen North- and South Harris liegt. Dieses Naturerlebnis ist, wenn wir das auch schon öfter erleben durften, immer wieder atemberaubend und Demut einflößend. Wir werden eindrücklich daran erinnert, dass wir nicht allein auf dieser kleinen Welt sind und beim Blick in die Hafenbecken und auf die Strände, dass wir mit ihr verantwortungslos und ohne Rücksicht umgehen. 

Wir gehen an den kleinen Anleger und ziehen kurze Hosen! an. Das Thermometer im Cockpit zeigt 29,9 ° Grad im Schatten an. Darauf bin ich nicht eingerichtet und kollabiere fast bei dem kurzen Ausflug zur Bucht am Südhafen. Ute will am kommenden Tag den Leuchtturm auf der Ostseite besuchen und ich habe Büro- und Knieschontag ausgerufen, außerdem beflügelt eine Auszeit vom „Wir“ die Beziehung! Sie kommt glücklich und voller neuem Wissen von der Wanderung zurück, und ich habe endlich mein „Büro“ wieder auf dem Laufenden. Wegen Windlosigkeit beschließen wir noch eine Nacht in der Bucht zu bleiben. Morgen gibt’s wieder Regen… 

Ankerprobleme 

Unser nächstes Ziel ist die Bucht von Lochmaddy, 24 sm südlich, wo wir in einer kleinen Seitenbucht den Anker fallen lassen wollen. Natürlich regnet es beim Einfahren in die Ankerbucht. Ute kniet im Ankerkasten und will die Winsch bedienen, aber sie gibt keinen Mucks von sich. Sicherung ist drin, Hauptschalter ist an. Was tun? Der kleine Anleger von Lochmaddy ist in der Nähe und so fahren wir dorthin. Der Steg ist für uns schwer zu erreichen und augenscheinlich ist alles voll. Ute findet im Revierführer in ca. 1 sm Entfernung 2 Mooring-Tonnen. Als wir diese erreichen, erweisen sich die Tönnchen als nicht geeignet und komplett von Kelp umgarnt, so dass wir die Tonnen nicht aus dem Wasser bekommen. Also wieder zurück zum Steg und einen Briten erschrecken, mit dem Ansinnen bei ihm ins Päckchen zu gehen. Bei der Einfahrt in den schmalen Kanal bin ich mir sicher, dass wir da nie wieder herauskommen werden, denn wenden ist nicht möglich. Rückenwind schiebt uns aber unaufhaltsam weiter. Wie erwartet stürzt der Brite erschrocken an Deck, aufgeregt und wild gestikulierend macht er uns auf einen freien Platz 2 Boote vor ihm aufmerksam, den wir nicht sehen konnten und in den ich freiwillig nicht versucht hätte, Freikerl dort zerstörungsfrei einzuparken. Doch von den 3 anderen im Hafen liegenden Booten springen die helfenden Hände auf den Steg und nehmen unsere Leinen entgegen. Tatsächlich passt Freikerl in die Lücke. Manchmal ist er eben kleiner als gedacht. Ohne Anleger beginne ich nicht mit der Fehlersuche. Außerdem müssen wir uns erstmal aus der nassen Rüstung pellen. Von Strom habe ich keine Ahnung, er kommt unsichtbar aus der Dose oder von der Batterie. Gleichstrom vermutend (kenne ich von ACDC) stelle ich das Messgerät ein und überprüfe alle zugänglichen Kabelverbindungen. Überall liegen 12 Volt an. Zum Schluss bleibt nur die Ankerfernbedienung als Ursache. Wir schrauben sie auf, können aber außer etwas Kondensat nichts Auffälliges finden. Wir haben nun keine Möglichkeit mehr zu Ankern, da die Anordnung der Winsch dicht am Bugkorb verhindert, die Kette mit der Kurbel einzuholen. Ab jetzt sind wir auf Häfen oder freie Mooring-Bojen angewiesen, welche es hier nur selten gibt. Damit bleibt uns der Zugang zu wunderbaren Buchten verwehrt. Zum Trost bekommen wir von der sehr ansehnlichen jungen Französin vom Boot hinter uns einen Taschenkrebs und einen halben Eimer Kaisergranaten geschenkt. Die Kombüse zaubert daraus eine hinreißende Seafood-Pasta. Frischer und einzigartiger nach Meer schmeckend und duftend geht es nicht! Da wir in Lochmaddy keine Lieferadresse angeben können, zu der der neue Ankerschalter geliefert werden kann, beschließen wir 30 sm weiter südlich in die Lochboisdale Marina zu gehen, wo es einen Marine Service geben soll und der Hafen eine Adresse und einen Hafenmeister hat. Außerdem gibt es eine Bootstankstelle. Der Wind kommt genau von Achtern und so zirkle ich Freikerl ohne anzuecken aus dem engen Hafen. Der Hafenmeister von Lochboisdale ist sehr hilfsbereit und kümmert sich um unser Problem. Er will den Schalter bestellen, denn den Priority Service des Lieferanten gibt’s nur für Firmenkunden. Da wir nun nichts weiter tun können als darauf zu warten, dass der Schalter geliefert wird, unternehmen wir eine Busfahrt ins benachbarte Dorf, um von dort aus auf die Atlantikseite der Isle of Uist zu wandern, wo uns herrliche einsame Sandstrände versprochen werden. Und tatsächlich offenbaren sich uns traumhaft weiße Strände und in Sichtweite sind nur eine Handvoll Menschen zu sehen. Wir picknicken und beobachten, wie sich das Meer immer weiter zurückzieht und der Strand immer breiter wird. Leider haben wir das Handtuch vergessen und für Windtrocknung ist es noch nicht warm genug. Utes Füße behaupten, dass das Wasser ca. 15 Grad kalt ist. Da kann man schon mal probieren bis über die Hüfte hineinzugehen. Der Weg zurück führt durch eine sehr schöne grün und gelb bewachsene, sanft hügelige Dünenlandschaft – „Machair“ genannt. Ein Sturm legte dort ein 3000 Jahre altes Dorf mit Rundhäusern frei. Die Reste der Rundhäuser allein sind keinen 12 km Fußmarsch wert, aber bei den Ausgrabungen fanden Archäologen die Mumien von 2 Personen. Das ist vielleicht auch nicht so aufregend ist, aber die DNA– Analyse der Gebeine hat ergeben, dass beide Mumien aus den Gebeinen und Körperteilen mehrerer Personen unterschiedlichen Geschlechts zusammengesetzt sind. So hatte die weibliche Person einen männlichen Kopf. Ich will der Wissenschaft mit meiner Lesart der Gründe nicht vorgreifen und mich auch nicht Chauvinistenschwein schimpfen lassen, daher gehe ich einfach davon aus, dass Frankenstein schon viel früher unterwegs war. Eine stichhaltige Erklärung für die zusammengesetzten Mumien gibt es jedenfalls noch nicht. 

Auf Nachfrage zur Lieferung unseres Ersatzteils erfahren wir, dass dies am Montag kommen soll. Das wäre ganz ok und in freudiger Erwartung checken wir unsere Mails. Die Versandtbestätigung ist da, ja Montag stimmt, aber erst in anderthalb Wochen. Das wirft uns wieder aus der Bahn. Wir sitzen fest und ich taufe die Inselgruppe schnell in Äußere Hämorriden um! Ute bestellt bei einem anderen Händler einen weiteren Schalter, da diese mit 1-2 Werktagen Lieferzeit auf die Western Island werben. Wir sind gespannt, nach einem Werktag haben wir noch keine Versandtbestätigung… Wir entspannen uns wieder und atmen tief durch, es könnte uns schlechter gehen. Da wir nun einige Tage im Hafen bleiben werden, mieten wir einen Leihwagen, um die Inseln zu erkunden. Die Inseln sind nicht sehr groß und die Sehenswürdigkeiten auch nicht dicht gesät, so dass wir North- and South Uist an einem Tag umfahren können. Die freundliche Verkäuferin im Fischladen, die sich mit 16 Jahren in Christian aus Deutschland verliebt hat, rät uns, zu den Highland Games in den Norden zu fahren. Wir bekommen einige Kilts, Dudelsäcke, Tanz- und Hammerwerfwettbewerbe zu sehen. Alles erinnert etwas an die Sportfeste des SV Wissenschaft Gatersleben aus meiner Kindheit. Trotzdem ist es witzig, das einmal zu sehen und als das Gedudel der Dudelsäcke doch etwas zu heftig auf die Selbigen geht verschwinden wir, um uns eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aus dem 19. Jahrhundert anzusehen. Ein Arzt der Region hat in einer Senke einen funktionslosen 2-geschossigen Turm durch die einheimischen Bauern und Fischer errichten lassen, damit diese etwas Geld verdienen konnten und nicht gänzlich verhungern mussten, da zu dem Zeitpunkt viele Missernten für Hunger und Not sorgten. Nun steht er da, hohl, vom ersten Tag funktionslos außer als Wahrzeichen der Absurdität. Weiter geht’s zur ersten und ältesten Universität Schottlands. Wie zu erwarten, können wir nur noch anhand der Grundmauern erahnen, dass dort mal ein Gebäude gestanden hat, und den Rest erfahren wir aus unserem Reiseführer. Der Streit der Konfessionen hat dazu geführt, dass das Gebäude von den Protestanten im 16. Jahrhundert geschliffen und die umfangreiche Bibliothek dann Flammenopfer der Glaubenskriege wurde. Das bestätigt wieder meine These, dass in allen Jahrhunderten, unter allen Bevölkerungsschichten, in allen Glaubensrichtungen, in allen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen die prozentuale Anzahl der Vollidioten immer gleich ist und die Menschheit seit tausendenden von Jahren darunter leidet sowie mit dem erworbenen Wissen und der gesammelten Erfahrung nichts anzufangen weiß, was zum gerechteren und friedlicheren Zusammenleben aller Menschen betragen könnte.

Da wir vermutlich nicht mehr nach Barra kommen werden, beschließen wir mit dem Auto die Fähre zu entern und uns die Insel anzusehen. Feinstperliger Nieselnebel bedeckt alles mit einem grauen, fast undurchschaubaren nassen Schleier. Beste Voraussetzungen für eine Sightseeing-Tour! Gerade der Airport Barra war ein Beweggrund die Insel zu besuchen. Es ist wohl der einzige Flughafen der Welt, der einen Strandabschnitt bei Ebbe als Landebahn für täglich je 2 reguläre Starts und Landungen nutzt. Wegen des Nebels sind an dem Tag die frühen Flüge abgesagt worden. Meine Laune geht in den Keller! Wir kurven auf der schmalen einspurigen Küstenstraße Richtung Süden. Alle 200m gibt es einen „Passing Place“, wo die Straße eine Beule hat und man anderen Fahrzeugen ausweichen kann. Ansonsten ist beim Straßenbau das Bedienpersonal der Schwarzdeckenfertigers vollkommen hacke gewesen und hat Senken und Erhebungen nie ausgeglichen. Ute wird vom Autofahren fast schlecht. Aber der Verkehr funktioniert und alle bedanken und begrüßen sich beim Begegnen. Lächelnd werden wir auch gefragt, wie wir die „Passing Place“ finden. Die Einheimischen wissen, dass das eigenartig ist. Langsam kämpft sich die Sonne durch den Dunst und wir wollen wenigsten noch einen der berühmten Strände besuchen. Und wirklich! Diese Strände sind schöner als in der Karibik oder in Thailand! Das Wasser ist türkisblau, der Sand ist fein und fast weiß. Es gibt keinen Müll und wir finden auch einen Robinsonstrand für uns ganz allein, wo wir ohne Badebuchse den Badespaß im 15-16° Grad warmen Wasser auskosten können. Ein Foto dieser Strände soll auf einem Werbeflyer für ein thailändisches Resort geworben haben, bis ein ortskundiger den Schwindel erkannt hat. Einfach traumhaft! Auf dem Rückweg zur Fähre halten wir nochmal am Flughafen an. Wir bekommen doch noch unseren ersehnten „Planespotting-Moment“ und können einem Start am Strand beiwohnen. Das entschädigt für unser hartes und entbehrungsreiches Leben auf den Äußeren Hämorriden!

6 Kommentare

  1. Ihr Wasserbummler, ich hab‘ mich lange nicht gezuckt, weil man als Ruheständler nicht viel Zeit hat. Deine Texte lesen sich gut und humorvoll, Atze, du bist auf dem Weg zum Reiseschriftsteller. Das wird sich doch mit der Enkelbetreuung verbinden lassen, die für die Zeit nach eurer Rückkehr geplant ist!? Im übrigen wünsche ich Ute wenig Übelkeit und euch beiden alle Ersatzteile, die ihr braucht – Hannes

  2. Hallo ihr Schotten😉,
    wieder ein schöner Bericht. Die Fotos erwecken Sehnsucht und wir sind gespannt, wie schick ihr nach dem Schneidern in eurem schottischen Outfit ausschauen werdet. Die Stoffe sind ja wirklich was Besonderes. Dann weiter eine schöne Zeit und passenden Wind.
    LG eure Taras-Crew

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