Seit Tagen erscheinen die Windvorhersagen der verschiedenen Wetterdienste für den 04.08. von dunkelrot ins violette changierend. Windgeschwindigkeiten über 50 Knoten sind angekündigt. Windstärke 10 ist kein Spaß mehr. 5 Tage im Voraus nehme ich das noch gelassen, aber je näher der Dienstag heranrückt, um so unwohler wird mir. Wir versuchen in einem sicheren Hafen eine Mooringtonne oder einen Stegliegeplatz zu buchen. Es ist Hochsaison und 2 große Regattaflotten mit über 120 Booten besetzen alle Häfen von Tobermory, Oban und in der Dunstaffanage Bay. In Oban erhalten wir nur eine Mooring vom 03.08. zum 04.08., diese wird uns auch noch storniert, so dass wir uns damit abfinden, irgendwo in einer sicheren Bucht ankern zu müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir am 05.08. für wenige Tage nach Deutschland fliegen wollen und unseren Freund Michel auf seinem letzten Weg begleiten möchten. Für die Zeit unserer Abwesenheit haben wir in der Nähe von Oban eine Mooringtonne für Freikerl gebucht und müssen spätestens um 1400 mit dem Wassertaxi nach Oban fahren, um unseren Zug nach Glasgow zu bekommen.Einige Tage vorher haben wir eine ruhige Nacht im Loch Aline verbracht. Nachdem uns alle Häfen den sicheren Unterschlupf verwehren, beschließen wir zurück nach Loch Aline zu fahren und dort eine Mooringtonne zu ergattern, um ggf. Freikerl auch für die Zeit unseres Deutschlandaufenthaltes daran zu vertäuen. Außerdem sind die Ankermöglichkeiten in diesem kleinen Nebensee des Sound of Mullvielversprechend. Wir brechen zeitig auf, um die 15 sm nach Norden zu segeln. Die Tide hilft uns mit mitlaufendem Strom. Unterdessen versucht Ute eine Verkehrsverbindung nach Oban herauszusuchen. Bei unserer mittäglichen Ankunft sind noch Tonnen frei und der Hafenmeister ist freundlich, wir können bleiben. Mittlerweile wissen wir, dass am Montag sämtliche Fährverbindungen, der Busverkehr und der Eisenbahnverkehr an der schottischen Westküste eingestellt werden. Dazu gibt’s noch die Information, dass bei der Wiederaufnahme der Verbindungen am Dienstag zu Verzögerungen und weiteren Ausfällen kommen wird. Ute findet eine theoretisch funktionierende Verbindung unter Einbeziehung der nahen Fähre und als Alternative eine Busverbindung über Fort Williams mit dem Bus. Am Sonntagnachmittag bereiten wir uns und Freikerl auf das bevorstehend „große Wehen“ vor. Sämtliche Fender, überflüssige Leinen und anderes Zubehör verstauen wir in der Heckkabine, um den Windwiderstand zu reduzieren. Ich fädle Stücken von Feuerlöschschläuchen über die 4 Festmacher, die mit der Kette der Mooringtonne verbunden sind, damit diesen nicht durchscheuern. Innen räumen wir alles, was herunterfallen könnte sicher weg und verschließen die Schubladen. Dann fahren wir zum Duschen (am Dienstag gibt’s nur Biodusche mit Peelingeffekt im Cockpit – bei 12 °C.), danach verstauen wir das Dinghi sicher an Deck und freuen uns über die Stille und die spiegelglatten See. Wir liegen am dicht bewaldeten Ufer und sind nach Westen gut geschützt. Gegenüber steigt das Ufer steil an und in den Bergen beleuchtet die untergehende Sonne zeitweise die grünen Hänge und Wasserfälle. Idylle pur. Unterdessen sind alle Mooringtonnen belegt und auch die Ankermöglichkeiten werden weniger. Wir sind nicht die Einzigen, die eine sichere Warteposition einnehmen. Die Nacht ist ruhig und pünktlich um 0400 setzt der Wind ein und es beginnt stark zu regnen. Die Wettervorhersage der britischen Wetterfrösche von „xcweather.co.uk“ ist zeitlich so exakt, dass ich glaube, die Zeit richtet sich nach den Wettervorhersagen und nicht umgekehrt. Dafür sagen sie immer leichten Regen an, da können sie ja nichts falsch machen. Zum Glück hat die Vorausschau darin öfter unrecht. Zum Frühstück müssen wir akrobatische Fähigkeiten aktivieren, denn Freikerl liegt in den Böen oft so schräg, dass Teile des Frühstücksgedecks der Schwerkraft folgend, krachend vom Tisch fallen. Die Tassen werden nur halbvoll gegossen. Die Böen haben stark zugenommen und die See hat sich beträchtlich aufgeschaukelt, so dass über den Bug vom Freikerl die Wellen schlagen und das Wasser waagerecht an unseren Salonfenstern vorbeischießt. Ich mache den Windmesser an und äuge vorsichtig auf die Anzeige. 27 – 32 Knoten Dauerbeschuss, in Böen steht auch mal eine 4 vor der 2. Zahl. Es scheppert, schaukelt, heult und zischt. Noch ist der Höhepunkt nicht erreicht. Wir liegen in den schaukelnden Kojen und warten. Wir können nichts mehr tun außer hoffen. Hoffen, dass alles gut geht, alle Leinen halten, die Kette der Mooring nicht schon durchgerostet ist und das Gewicht ausreichend für die 14 „Freikerl-Tonnen“ ist, wir an alles gedacht haben, nichts übersehen haben, alles richtig gemacht haben und den Liegeplatz richtig eingeschätzt haben. Ich kann nachvollziehen, dass die Seefahrer so glaubensanfällig sind. Zu oft ist man den Naturgewalten wehrlos ausgeliefert und es bleibt nur die Hoffnung. Bei manchen hilft der Glaube, mit dem hat der Herr uns leider nicht ausgestattet. Die Ausnahme: Der Glaube an uns selbst.
Wir warten, es wird ruhiger und wir misstrauen der scheinbaren Stille. Da muss doch noch was kommen, die Wettervorhersage hat Böen von 51 Knoten angekündigt. Doch nach weiteren 2 Stunden liegen und warten stellen wir fest, dass „Floris“ uns verschont hat und wir die richtige Bucht gewählt haben. Beim Blick durchs Fernglas können wir die See des Sound of Mull wild toben und schäumen sehen. Es fegen nur noch selten fauchende Böen durch die Takelage und die Anspannung lässt langsam nach. Wir sind erleichtert, dass der Sturm uns so glimpflich behandelt hat. Immerhin ist das der 3. kräftige Sturm, den wir auf unserer diesjährigen Reise innerhalb von 3 Monaten abwettern müssen. Für diese Jahreszeit außergewöhnlich viele. Auch auf den Nachbarbooten scheint alles weitestgehend gehalten zu haben. Die Spezialisten, die ihre Vorsegel falsch gesichert haben, kämpfen mit schlagenden Schoten und teilweise ausgerollten Vorsegeln. Der Knaller, der sein Dinghi samt Motor im Wasser gelassen hat, muss nun den Motor auseinandernehmen und diesen sorgsam trocknen. Da denkt man nun der britische Segler ist mit allen Wassern gewaschen – weit gefehlt! Wir packen unsere Sachen, essen die letzten frischen Vorräte auf und bereiten uns auf die Reise nach Deutschland vor.
Kurztrip nach Leipzig
Am Morgen lassen wir das Dinghi zu Wasser und rudern die 200 m zum Steg, wo wir das Bötchen in der nächsten Woche liegen lassen werden. Freikerl hängt an seiner „Sturmtesttonne“. Zu Fuß geht es die 1500 m zum Fähranleger, wo wir mit der Fähre zur Isle of Mull nach Fishnish übersetzen. Dort sehen wir, was immer noch auf dem Sound of Mull los ist. 2m Welle und Böen über 30 Knoten peitschen uns entgegen. Aber die Fähre fährt. Von da wollen wir mit dem Bus zum 12 km entfernten Craignure, wo die Fähre nach Oban ablegt. Aber der Bus kommt nicht. Wegen des hohen Verkehrs auf den „Singletrack Roads“ – den einspurigen Straßen, auf der es alle 200 m eine Ausweichbucht (Passing Point) gibt, verzichtet der Busfahrer darauf unsere Haltestelle etwas abseits der Hauptstraße anzufahren, um seine Passagiere pünktlich zur Fähre nach Oban zu bringen. Mit uns ist Fiona aus Belfast an Bord, die auch nach Oban will, um im gleichen Zug wie wir nach Glasgow zum Flughafen zu gelangen. Sie versucht für uns ein Taxi zu bekommen – frühesten in anderthalb Stunden ist die Antwort des Chauffeurs. Wir beschließen zu trampen. Wir haben den Daumen noch gar nicht richtig raus, da hält ein junger Mann im VW Polo, der eigentlich in die Gegenrichtung nach Tobermory will und bringt uns drei kurzentschlossen zum Fähranleger. Wir bedanken uns bei dem freundlichen Schotten, der in Wirklichkeit Ungar war und seit 9 Jahren auf Mull lebt. 3 Minuten vor Abfahrt der Fähre sind wir da, aber der überpünktliche Kapitän hat die Landleinen schon lösen lassen. Wir haben noch etwas Zeitpuffer und warten auf die nächste Fähre – fast 2 Std. später. Sie fährt dann auch und ab Oban sind wir 3,5 Std. nach Glasgow mit der „ScotRail“ durch die schottischen Highlands unterwegs. Die Eisenbahnwagons sind veraltet, riechen nach einer Mischung aus Fish and Ships, Popkorn und Kotze (später stellt sich heraus, dass das Mädchen hinter uns mehrere Büchsen „Monster“ getrunken hat und das Zeug für den unangenehmen Geruch verantwortlich war). Wir fahren durch grüne, undurchschaubare Pflanzentunnel in denen die Äste laut kratzend und schnarrend am Zug entlangschrammen. Die Strecke führt hoch oben an endlosen Seen entlang. Wenn der Zug nicht durch Regenvorhänge fährt, eröffnen sich immer wieder beeindruckende Ausblicke auf die schottischen Highlands. Ab und zu bleib der Zug stehen und muss auf Gegenzüge warten. Auch hier fährt man auf „Singletrack Rails“. Zum Schluss haben wir dann doch noch eine halbe Stunde Verspätung, stört uns aber nicht, da wir in Glasgow eine Übernachtung gebucht haben. In 12 Reisestunden haben wir es tatsächlich geschafft insgesamt 200 km zurückzulegen. Wir schaffen es noch uns einen oberflächlichen Eindruck von Glasgow zu verschaffen und gehen vornehm essen. Glasgow hat genauso viele Einwohner, aber präsentiert sich als Weltstadt. Der Zubringerbus vom und zum Flughafen fährt alle 10 Minuten, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Das sagt alles! Wenn alles läuft, sind wir dann am Mittwoch gegen Mitternacht in Leipzig. Auch wenn der Anlass unserer Auszeit vom Boot zutiefst traurig ist, so freuen wir uns dennoch Familie und Freunde wiederzusehen.
Die Trauerfeier für unseren Freund und Chirurgen Michel war bewegend und sehr emotional. Die große Familie, viele Freunde und Kollegen nahmen in einer ergreifenden Zeremonie Abschied und wir sind froh, dass wir die Anreise nicht gescheut haben. Die Krankenhäuser in Halle und Bitterfeld müssen an diesem Tag arbeitsunfähig gewesen sein – so viele Ärzte und medizinisches Personal haben Michel begleitet. Durch den frühen Tod des Freundes, glaube auch ich meine Einstellung zur Endlichkeit überdenken und anpassen zu müssen. Tröstend und Hoffnung verbreitend war die Anwesenheit der vielen Babys der Enkelgeneration, das Sinnbild des Kreislaufens des Lebens.
Doch Leid und Freud liegen so oft dicht beieinander. Am darauffolgenden Tag haben Anke und Uwe in unseren Garten zur Sommer- + Geburtstagsparty in unseren Garten geladen. Zufall! Bei schönstem Sommerwetter saßen wir bei Wein und edlen Speisen mit vielen lieben Menschen in unserer grünen Oase in Leipzigs Süden. Leider waren die Weißweinvorräte um Mitternacht schon gelenzt, daher gibt’s auch nur 4,9 Sterne für die Party. ;-)
Die Rückreise am Sonntag verlief planmäßig, selbst die S-Bahn in Leipzig hat uns früh pünktlich zum Flughafen nach Schkeuditz gebracht. Ich habe es mir nicht nehmen lassen meine Anwesenheit auf dem Airport mit der Ansage: „Herr Axel Müntz bitte zur Gepäcknachkontrolle“ kundzutun. In meinem Rucksack befand sich neben 10 Liter Weißwein auch eine elektrische Winschkurbel, die wir uns nach Leipzig bestellt hatten. Die Kontrolle fand im Beisein von 2 schwer bewaffneten Polizisten statt, um dem Bombenleger gleich habhaft zu werden. Jedoch waren die 2 Kartons mit Flüssigkeit der Auslöser der Aktion. „In Glasgow gibt’s doch genug zu trinken, warum den Wein mitnehmen? Whisky tuts doch auch!“ meint der amüsierte Beamte.
Im Flugzeug nach Glasgow unterhalten wir uns während des Landeanflug mit der Flugbegleiterin. Als wir ihr erklären, dass wir seit 3 Monaten mit dem Boot unterwegs sind, meint sie, dass das nichts für sie wären, da ihr schon bei schwankenden Flugzeugen schlecht werden würde. Dass man „flugkrank“ werden kann, habe ich noch nie gedacht. „Landkrank“ und „seekrank“ kennen wir. Vielleicht werde ich mal „laufkrank“, „schwimmkrank“ oder gar „sitzkrank“…?
Wir besteigen in Glasgow den Bus nach Oban, der uns durch die wunderbaren Highlands fährt. Ein Landurlaub in den schottischen Bergen ist bestimmt lohnend. Heimatrevier! Natürlich regnet es in Oban und am nächsten Morgen stapfen wir mit unseren 40 Kg Zusatzgepäck zum Fähranleger. Nach zwei Fährfahrten und einer Busfahrt kommen wir zu unserem Schlauchboot, welches unter der Last des 6-tägigen Schottlandregens bedenklich tief im Wasser lag. Während Ute schöpft, freue mich wieder bei meinem Freikerl zu sein. Am kommenden Wochenende kommen Nina, Alma und Julian, die uns auf der Fahrt durch den Kaledonien Kanal begleiten und uns Anfang September in Inverness leider wieder verlassen werden. Wir sind schon ganz hibbelig!



















Hallo Ihr Lieben! Wir wollen uns bei Euch noch einmal ganz doll bedanken, dass Ihr für Michel und uns diese ganzen Strapazen auf Euch genommen habt! Die Freude über Eure Anwesenheit war riesig!!!! Wir wünschen Euch viel Spaß mit Nina und Familie, keinen Regen, viel Sonnenschein und schöne Erlebnisse! Karl, Jojo und Ini