Im „Nordsee Shaker“ – Rolling Dänemark

Da in Schottland viele Geschäfte auch am Sonntag geöffnet haben, gehen wir früh zum Lidl um unsere Vorräte aufzufüllen. Dabei verirren sich auch 2 kleine Kartons Pinot Grigio in unseren Einkaufswagen. Die freundliche Mitarbeiterin des Marktes macht uns um 09:46 Uhr darauf aufmerksam, dass Alkohol am Sonntag erst ab 10:00 Uhr verkauft werden darf und stellt uns vor die Entscheidung entweder zu warten, nach 10:00 Uhr wiederzukommen oder auf den Wein zu verzichten. Letztere Option kam nicht infrage. Unseren amüsierten und ungläubigen Blick kontert sie mit einem freundlichen Hinweis darauf, dass sie diese absurden Gesetze nicht macht. Wir durchforsten also den Markt nach weiteren brauchbaren Lebensmitteln. Vermutlich wollen die Gesetzgeber nicht, dass der Schotte schon hacke zur Sonntagspredigt erscheint. 

Da unsere 2. Propangasflasche sicher in den nächsten Tagen ihren Inhalt verbrannt haben wird, erstehe ich noch eine blaue Campinggasflasche als Notlösung im nahe gelegenen Outdoorladen. Der Preis von umgerechnet 135 Euro macht mir weiche Knie, aber was hilfts…

Schweren Herzens verlassen wir am frühen Sonntagnachmittag mit ablaufendem Wasser die letzte Schleuse des Kaledonien Kanals, welche Freikerl wieder in die Nordseegewässer entlässt. Mit Rauschefahrt von über 9 Ktn., begleitet von Delfinen und Robben, segeln wir durch den Moray Firth unserem ersten Ankerplatz entgegen. Am nächsten Tag fahren wir bei strahlendem Sonnenschein weitere 35 sm und werfen vor Banff den Anker. Wir haben die Rechnung ohne den Klabautermann gemacht, der uns die ganze Nacht mit starkem Schwell wachhält. Der nächtliche Vollmond und das wunderbare Segeln in die aufgehende Sonne entschädigen etwas. Nach der Rundung des Kaps von Fraserburgh müssen wir die nächsten 15 sm gegen Wind und Welle ankreuzen. Da der Strom aber nach Süden setzt, baut sich eine hohe und hackige See auf. Aber Freikerl segelt mit einem nie vorher erreichten Wendewinkel von 90 Grad und die 43 sm sind nach 6 Stunden Geschichte. Per Funk teilen wir der Harbour Authority mit, dass wir um Einlass bitten und nachdem wir einem Fischer den Vortritt gelassen haben, konnten auch wir in den Hafen einfahren und Freikerl in der Marina festmachen. Ute ist schon seit gestern unleidlich. Ich dachte es sei wegen des üblen Liegeplatzes in der Nacht davor, aber sie zeigt erste Anzeichen einer Virusinfektion. Mir geht es auch nicht optimal. (normal in dem Alter…) Unsere Immunsysteme sind wohl etwas heruntergefahren und nun nach den vielen Kontakten in Edinburgh, müssen wir uns erst einmal eine neue Resistenz aufbauen. Keine guten Voraussetzungen für eine 3-tägige Überfahrt über die kabbelige Nordsee. Zumal die Tiefdruckgebiete in Sturmstärke im Abstand von 2-3 Tagen über die britischen Inseln nach Osten ziehen und wir immer weiter in den Herbst rutschen. Das ständige Checken des Wetters strengt an und geht uns im Moment mal wieder fürchterlich auf die Nerven. Wir verwenden Wettervorhersagen von 2-3 Diensten, diese bieten auch noch unterschiedliche Vorhersagemodelle an. Zu guter Letzt hat man 6-10 unterschiedliche Vorhersagen, die die Entscheidungsfindung noch mehr erschweren. Ich habe 3 Favoriten deren Vorhersagen ich ergeben bin. Unsere Zeit ist nun doch begrenzt und wir überlegen, Freikerl ggf. in Peterhead zu überwintern. Aber diesen Ort können wir dem Guten dann doch nicht zumuten. Wir einigen uns darauf, dass wir am Donnerstagabend den Hafen verlassen und nach Thyboron segeln. Ggf. können wir bei drehenden Winden noch ins Skagerrak ablaufen. Das nächste Sturmtief steht schon wieder in den Startlöchern und soll am Sonntagabend die Nordsee zum Brodeln bringen. Der Hafenmeister meint, dass es keine optimalen Bedingungen sind. Ein deutscher Segler zieht leicht die Augenbrauen hoch und kommentiert: „Na dann viel Spaß“ und der Nachbar zu unsrer Linken meint auf englisch: „Ihr habt ja einen Panzer“.  Ja, aber WIR sind keine Panzer! Doch vor der Abfahrt müssen wir Utes Viruserkältung noch etwas bekämpfen und so gehe ich Kräutertee kaufen.

Auf dem Weg zum Supermarkt komme ich durch eine Siedlung mit kleinen, aber gepflegten Einfamilienhäusern. Die Gestaltung der Vorgärten verschlägt mir die Sprache. Vermutlich gibt es einen Wettbewerb um den steinigsten und hässlichsten Vorgarten. Dafür heißt der Supermarkt „Green of Peterhead“ – ist ja nicht schwer. Peterhead ist ohnehin nicht nur optisch schwer zu ertragen, aber ab nun heißt die Stadt Stonehead in meinem Sprachgebrauch. Wir müssen hier weg!

Seit Tagen pfeift es auf der Nordsee in den letzten 2 Tagen steigt die Windgeschwindigkeit auf weit über 30 Ktn – Windstärke 7 – und Wellen von 2-3 Meter und mehr. Auf dem Atlantik kein Problem, da die Wellen dort sehr lang sind und man langsam den Wellenberg hinauffährt und dann wieder hinab. Vor den Kanaren sind wir so 6m Wellen auf -und abgesurft, ohne dabei Probleme zu haben. Aber diese Wellen sind kurz und hackig. Für Donnerstag orakelt die Vorhersage eine Abnahme des Windes für 1700, wir lassen uns noch etwas Zeit und geben dem diensthabenden Hafenmeister unsere Abreise für 1900 bekannt. Vorher machen wir Bemmchen, kochen 2 Kannen Tee, 2 Liter Hühnerbrühe und braten noch die dem MHD nahen Hühnerbrüste. Wir sind so gut vorbereitet wie noch nie!

1900 gehen wir mit 2.Reff im Groß und Kreuzfock durch die Molenköpfe und stürzen uns bei halbem Wind in die wogende See. Hinter Freikerl geht die Sonne glühend unter. Grundsätzlich ist die Stimmung recht gut. Nach einer Stunde verabschiedet sich Ute schmallippig in die Horizontale und mir wird bewusst, dass ich die restlichen 55-60 Stunden allein bewältigen muss. Windstärke 4-7, Wellenhöhe über 2-3 m, Abstand 6 Sekunden. Die Wellen sind kurz, kommen aus unterschiedlichen Richtungen und immer, wenn man das Gefühl hat, dass es erträglicher und rhythmischer wird, kommt ein Querschläger und wirft uns in die entgegengesetzte Richtung. Ute bittet mich ihr Vomexzäpfchen aus dem Badschrank zu holen. Beim Öffnen entlehrt sich ein Teil des kleinteiligen Inhalts hinters Klo. Ich fluche und mir wird auch schlecht. Der Rodeoritt hat mit Einbruch der Dunkelheit begonnen. Es gibt keine vorhersehbaren Bootsbewegungen mehr, auf die man sich einstellen könnte. Klabautermann hat den Mixbecher Nordsee fest in der Hand und schüttelt uns nach Belieben. Die 14 Tonnen Freikerl fallen mit 9,81 m/s ins Wellental, um dann mit ähnlicher Geschwindigkeit wieder emporkatapultiert zu werden. Die Inhalte unserer Mägen schlagen in gegenläufigen Bewegungen entweder am Zäpfchen oder am gegenüberliegenden Auslass an. Wir opfern gemeinsam Rasmus! Diesmal aber keinen edlen Rum oder Gin und er muss es mit den Fischen teilen. Er scheint „not amused“ zu sein, denn es wird nicht besser. Die vielen Erdöl -und Erdgasplattformen zwingen uns, im Slalom zufahren. Mindestens 2 sm Abstand sind einzuhalten. Mit 156 sm hat Freikerl ein beachtliches Etmal in den ersten 24 Stunden erreicht. Ich schlafe etwa 1 Stunde. Das liebe Adrenalin hält mich „am Laufen“. Die nächste 24 Stunden sind noch abwechslungsreicher. Der Wind verlässt uns des Nächtens, lässt aber die Welle da. Das ist das Schlimmste! Nun geht nix mehr. Der Cocktail Shaker wir von Klabautermann und Rasmus gemeinsam bedient.  Wir mittendrin. Motor an. Hilft etwas. Nach einer halben Stunde ist der Wind mit 6 Bft. wieder da. Wir freuen uns darüber. Aber nun zucken um uns herum Blitze aus den tiefhängenden Gewitterwolken und in Sichtweite schlägt ein Blitz mit hellen Kugelschein in die See ein. Ich bin respektvoll fasziniert und nehme es fatalistisch. Der Wind schwächelt. Kurze Zeit später muss ich die Fock gegen die gereffte Genua wechseln. Freikerl dankt es mit 6 ktn Fahrt. Das wiederholt sich mehrmals. Ute versucht tapfer zu sein und muss doch immer wieder aufgeben. Immerhin komme ich so zu 2 Std. Schlaf. Freikerl liegt auf der Backbordseite, da wo es kein Klo und auch keine Schlafmöglichkeit gibt. Wir haben ein Leebrett zur quer im Schiff liegenden Sitzbank eingebaut, gegen das man sich stützen kann, um nicht im Küchentrakt einzuschlagen. Aber ein 2. Klo gibt’s auf der Backbordseite nicht. Das Abpumpen der Toilette funktioniert nicht, da die Borddurchlässe bei Lage nicht im Wasser sind. Die Verwendung von Süßwasser geht auch nicht, da wir die Wassertanks nicht befüllt haben und so die Pumpe bei Lage nur Luft pumpt. Die Auslässe der Tank sind natürlich auf der gegenüberliegenden Seite. Die Verwahrlosung greift so schnell um sich und die Pütz muss herhalten. In der 3.Nacht fahren wir weiter auf Thyboron zu und müssen den Schifffahrtsweg der Großschifffahrt kreuzen. Der Verkehr ist enorm und ich muss genau aufpassen, dass wir nicht einem der Ozeanriesen zu nahekommen. Das hält wach, an Schlaf ist nicht zu denken. Auf den letzten 35 sm dreht der Wind und wir müssten kreuzen, aber da ist die Luft dann wirklich raus und der Wind auch fast weg. Der Nanni muss ran. Damit es nicht langweilig wird, haben wir noch 6 Stunden Regen, der die Salzkruste auf Freikerl verdünnt. 0400, nach 57 Stunden und 333 sm machen wir in Thyboron fest. Ute bekommt beim Festmachen einen Kreislaufzusammenbruch, da sie fast nichts gegessen und getrunken hat und das Wenige mit den Fischen teilte. Wir machen uns 2 Büchsensuppen warm und 2 Gin Tonic als Anleger zurecht, gehen Duschen und Ute konstatiert, nie wieder über die Nordsee fahren zu wollen. Ja, das war wirklich nicht immer schön, aber ihr sind auch unvergessliche Naturerlebnisse nicht zugänglich gewesen. Am 2. Abend während des Sonnenunterganges hat der Wolkenbildmaler unvorstellbare Gemälde an den Himmel gezaubert. Riesige Wolkenberge verwandelten sich in Elfen, Häuser, Schlösser, Pfaffen, Dirnen, Säufer, Kinder, Tiere, Gebirge, etc.. Figuren wie aus George Grosz Bildern entsprungen. Diese leuchteten dann auch je nach Intensität, Dichte und vermutlich Partikelgehalt der Wolkenberge farbig in Grün, Rot, Braun, Schwarz, Rosa, Orange – in allen Nuancen der Farbpalette. Ein unglaubliches, unvergessliches Schauspiel. Der immer noch fast volle Mond setzte das Spektakel in der Nacht fort. Die Gemälde veränderten sich ständig und vergingen im Nichts. Ich bin nachhaltig beeindruckt und angerührt! Auch das wogende und steilaufragende Meer bildete an der Horizontlinie am Tage phantasieanregende Figuren und Formen. In Sekunden entstanden bewaldete Inseln, Lebewesen, Berge und Boote, die sofort wieder verloschen. Die See wartete ständig mit neuen Farben, Bewegungen und Schatten auf, schob gischtige Schaumkämme übereinander, ließ die Kuppen horizontal abreißen und fliegen, um dann alles unter sich zu begraben und neu aufzubauen. Dazwischen die Kunstflüge der Eissturmvögel und Basstölpel. Es wird nie langweilig und lässt mich ewig „stieren und starren“. (Danke Anke für die treffliche Formulierung) Das sind für mich unter anderen die Gründe, warum man sich neben der Annahme der Herausforderung, diesen Strapazen unterwirft. Freikerl bekommt den Namenszusatz „The Tank“.

Nach 3 Stunden Schlaf wachen wir bei strahlendem Sonnenschein und unerträglichem Fischmehlgestank, gewürzt mit Geruch von altem Frittenöl wieder auf. Mir tut jede Muskelfaser weh. In mir müssen Muskeln versteckt sein, von deren Existenz die Anatomen dieser Welt noch überhaupt keine Ahnung haben. Wir Frühstücken und beschließen den Hafen schnellstmöglich zu verlassen, da das nächste Sturmtief am Montagabend Thyboron erreichen wird und wir nicht den 2. Sturm in Thyboron nun unter diesem Gestank abwettern wollen. Im 11 sm südlich gelegenen Lemvig wollen wir Unterschlupf vor den Sturmböen finden. Die Sonne wärmt, ich frage Ute, ob ich das Boot mit dem Segel etwas schräg machen darf. Sie verneint grinsend und so tuckern wir über das glatte Wasser und blinzeln in die Sonne. Ute meint: In diesem Jahr fährt sie nicht mehr mit mir über die Nordsee.

6 Kommentare

  1. Oje! Da hat die Mordsee wieder zugeschlagen.
    Hoffentlich gehts nun ruhiger zu, obwohl die Vorhersagen viel rot zeigen.
    Erholt euch, und handbreit für dänischen Gewässer.
    Und es wird schon noch mit der Reiseschriftstellerei😃

  2. Lieber Atze (Hemmingway der Nordsee)/ liebe Ute (die nie wieder in der Nordsee segelt), ich habe großen Respekt vor Eurer Tour und kann mir gar nicht vorstellen, wie man diesen Sturm/Wellengang überstehen kann! Ich lese Deine Berichte immer mit großer Freude und Interesse und hoffe auf noch viele Weitere. Euch eine ruhigere Weiterfahrt und kommt gut nach Hause. Liebe Grüße von Ebbi (z.Zt. auf Mopedtour in die Alpen) … immer ne Handbreit…🍀⛵️

  3. Hi ihr Zwei, Respekt da habt ihr wirklich ein hartes Stück Nordsee abgebissen. Hoffe ihr habt euch gut erholt nach den Strapazen!
    Da wird euch das Kategatt wie der Scharmützelsee vorkommen.
    Kommt gut runter in den Süden, wir freuen uns auf euch!

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