Der beständige SüdOst lässt uns noch eine Nacht länger in Kerteminde verbringen. Eine nette kleine Stadt mit einem gemütlichen Hafenrestaurant „Anchor“. Beim örtlichen Fischräucherer kaufen wir den besten Räucherfisch unserer Reise. Uns fällt immer wieder auf, wie gut die Gastronomie in Skandinavien geworden ist. Vor 20 Jahren wäre eine „Kubanische Tropfpizza“ Sterneküche gewesen – im Gegensatz zu den Angeboten der dänischen Gastronomen. Wir entwerfen einen Heimfahrt-Plan und stecken die Etappen ab, die uns der Heimat näherbringen werden. Auf Verjø wollen wir im Sonnenuntergang Grillen und kaufen dafür in Kerteminde ein. In den kommenden 2 Tagen ist Flaute. Schweren Herzens entschließen wir uns unter Motor weiterzuziehen. Das angekündigte Sturmtief „Detlef“ wird uns 5 Tage in Stubbekøbing an die Mole nageln. Und danach ist unklar, wann wir die Ostsee überqueren können. Die Vorstellung längere Zeit in Stubbekøbing bleiben zu müssen lässt uns schaudern. So stelle ich mir ein Campingurlaub in Schkeuditz vor. Nachdem ich Ute die schlechten Prognosen auf der Motorfahrt nach Vejrø überbracht habe, verschlechtert sich ihr Laune sichtbar und nach einigen Minuten macht sie den Vorschlag nach Stubbekøbing durchzufahren und von dort am nächsten Morgen die Ostsee ebenfalls per Motor zu überqueren und in Kloster wieder deutschen Boden zu betreten. Ich brauche Bedenkzeit. Schließlich geht mein Grillabend gerade den Bach runter. Jedoch hat die Kombüse damit eine gute Idee geboren, der ungewissen Zukunft und dem heftigen Wetter zu entfliehen. Also stimme ich dem Plan zur Flucht nach Hiddensee zu. Verrückte Welt! Früher floh man von Hiddensee, heute findet man dort Unterschlupf. Außerdem reizt mich der Gedanke, den Tag der Deutschen Einheit auf Hiddensee zu verbringen. Auch wenn ich kein glühender Freund von „Nationalfeiertagen“ bin, so wird an dem Datum der Ereignisse (im weitesten Sinne) gedacht, die uns erst in die Lage versetzt haben, derartige Reisen zu unternehmen und wir müssen uns heute noch oft „Kneifen“ um die nun 35 Jahre alte Realität als die Unsrige anzunehmen! Dies an dem Ort zu begehen, der Jahrzehnte lang der Inbegriff für die Gefangenschaft in der DDR war, ist nur angemessen.
In den dänischen Gewässern ist die Präsenz der Marine überall sicht- und hörbar. Ständig funken „Danish Warship“ andere Boote an, um diese zu kontrollieren. Die Drohnensichtungen in den letzten Tagen haben Spuren hinterlassen und außerdem treffen sich die Regierungschefs in Kopenhagen zur Beratung. Wir gehören nicht in das Beuteschema der Kriegsschiffe. Die Sonne strahlt seit Tagen sommerlich und wir kämpfen uns bei Kaiserwetter gegen die Strömung nach Süden durch das langweilige Smålandfahrwasser. Wider Erwarten setzt die Strömung mit über 2,5 Knoten gegen an. Wir haben seit 36 Stunden kein Wind mehr, aber trotzdem drückt die Ostsee kräftig Wasser herein. Warum? Elektrischen Strom und Strömung des Wassers werde ich wohl nie begreifen… Nach Einbruch der Dunkelheit und 60 sm tasten wir uns in den nahezu unbeleuchteten Fischereihafen in Stubbekøbing und machen bis zum Sonnenaufgang hinter einem Fischerboot fest. Im Frühnebel, bei aufgehender Sonne, der wundervolle japanische Landschaften auf das Fahrwasser zaubert, wo die Reiher im seichten Wasser auf Beutezug erstarren, surren wir der spiegelglatten Ostsee entgegen. Die Sonne wärmt nochmal kräftig und wir pellen uns aus den Seglerrüstungen. Mitten auf See bekommen wir mehrmals von mehreren sehr kleinen gefiederten Gesellen Besuch. Laut Ornithologischem Fachbuch handelt es sich um ein „Wintergoldhähnchen“, dem kleinsten Vogel Europas. (Kommt man nach Deutschland, fliegen uns die Goldhähnchen zu…) Witzigerweise sind die Tiere vollkommen distanzlos, schwirren im und auf dem Boot überall herum, setzen sich auf unsere Köpfe und Schultern, hüpfen an jeder Leine hoch und haben gar keinen Respekt vor der „Krone der Schöpfung“. Im Buch lesen wir nach, dass es nicht um fehlende Angst geht, die Tierchen ignorieren schlichtweg unsere Anwesenheit. Welch beneidenswerte Eigenschaft! Neben dem enormen Schiffsverkehr in der Kadett Rinne brachten sie eine willkommene Abwechslung in unsere 10-stündige Fahrt nach Hiddensee. Die Flucht ist geglückt, aber dem Wetter sind wir nicht entkommen.
Die Insel ist zum Feiertag und bei schönstem „Einheitswetter“ gut besucht. Damit sind wir nicht die Einzigen, die den Leuchtturm und den „Klausner“ erwandern. Wie auch unser Freund Utz vor einigen Tagen, so mussten auch wir die Hand an den Leuchtturm zum Zeichen der Heimkehr legen. Im „Klausner“ gab es auf der Terrasse eine Berliner Weisse mit Rot, nachdem wir vorher das Naturschutzgebiet um einige Parasolpilze erleichtert haben. Nach gelehrter Bordkasse sind wir froh, wenn die Natur zu unserem Überleben beiträgt. Zurück im Hafen, spendieren wir Freikerl die doppelte Anzahl an Festmacherleinen, packen alle überflüssigen Leinen und Ausrüstungsgegenstände weg, gehen für 3 Tage Einkaufen und bereiten uns auf den angesagten Sturm vor. Die Aussichten: fast durchweg Windstärke 6-7 und in Böen Windstärke 9-10, dazu kräftiger Regen. Dem Feiertag angemessen hören wir von Rodriguez „Sugar Man“ mit dem Silver Magic Ship und „I Wonder“. Genauso ist es! In der Nacht zum Samstag geht es los und am Montag soll der Spuk vorüber sein. Aber der Klabautermann möchte nicht, dass wir überstürzt unseren Heimathafen in Greifswald anlaufen können. Daher lässt er vom 06. – 08.10. die Ziegelgrabenbrücke in Stralsund warten und reparieren. Die Brücke bleibt zu, wir entschleunigen und liegen im gemütlichen Salon unseres Bootes, schlürfen Grog und Tee gegen die Witterungsunbilden, lesen, schreiben Blog und setzen bei dem Schietwedder keinen Fuß vor die Tür.

































Na, ihr Lieben, dann kann man euch ja eigentlich schon „Welcome back!“ zurufen. Ich weiß, die Ostsee kann auch auf den letzten Seemeilen noch Streiche spielen, aber hoffen wir mal das Beste.
Was die leere Bordkasse anbelangt – könnt ihr nicht noch ein anderes Boot kapern? Die Bootseigentümer haben doch immer eine Menge Schotter… Es grüßt euch von Herzen
Hannes
PS: Übrigens schade, dass ihr in Edinburgh nicht im Whiskey-Museum wart. Das lohnt sich mehr als die langweilige Burg. Doch ihr kommt bestimmt nochmal hin.
Hallo Hannes, Bootseigner haben immer nur vor dem Bootskauf Schotter! Aber wir schaffen das! Ute war heute nochmal Pilze suchen. Das hilft wirtschaften! 😋 Wir freuen uns auf‘s Wiedersehen! Atze & Ute
Hallo Ihr Beiden, super schöner Bericht. Ich habe den Sturm auch beobachtet auf Windiapp, krass heftig. Ihr schafft das. Lg Susanna