von Holger Körner
Es ist so heiß wie noch nie zuvor in diesem Jahr – wir schwitzen schon vor dem Aufstehen und reiben uns beide die Augen: Wir sind mitten in einem Olivenhain und nur 200 Meter weiter ist ein Zeltplatz. In der Nacht sind wir hier angekommen. In Punat auf der kroatischen Insel Krk . Eigentlich wollten wir zum Sommerurlaub den Limfjord besegeln– hoch in den Norden nach Dänemark, zu Robbenbänken und Liebesbuchten, 1000 Kilometer Straße von Leipzig aus. Nun haben wir 1200 Kilometer hinter uns und sind an der Adria. Zuhause und in Dänemark regnet es Bindfäden, ein Sommer mit 14 Grad Höchsttemperatur. Hier ist es morgens um acht doppelt so warm. Im Schatten.
Nonstop nach Kroatien: Ankunft nach 1200 Kilometern
Alan hat ein Café am Ortsrand mit einem kleinen Strand davor und einer eigenen Rampe. Wir slippen, setzen den Mast, takeln auf. Am frühen Nachmittag ist alles klar: Daddeldu plätschert reisefertig an der Mole vor Alans Café. Ein Zelt haben wir dabei, zwei 6cm selbstaufblasbare Isomatten, Schlafsäcke und unsere Klamotten – weit weniger als für Dänemark – statt Pullover, Latzhosen und dicke Jacken haben wir nun Shorts, T-Shirts und Badelatschen in den Seesäcken. Nur der Proviant ist noch auf Dänemark abgestimmt: Sorbische Bohnensuppe in der Dose und eingeschweißtes Pumpernickel, viel Schokolade und Bier. Das kommt natürlich in die Bilge, unseren Kühlschrank.
Feechen wirft die Leinen los, an den Moorings und Bojen ziehen wir uns durch das Gewirr der kleinen Motor- und großen Schlauchboote, dann kann das Ruderblatt runter, dann das Schwert, und das Großfall kann hoch und das Segel dazu. Ganz behäbig legt Daddeldu sich auf die Seite, Schnorchler schauen auf, Kinder kreischen, dann rollt die Genau heraus und der Bug schiebt sich langsam wippend durchs Wasser – weg vom Strand, weg von der Baderutsche, raus in die Bucht von Punat. Die ist so groß wie unser Heimatrevier – der Cospudener See bei Leipzig. Hier gibt es eine Insel mittendrin – mit einem Kloster drauf – da wollen wir hin. Eine prima Brise pustet uns in 20 Minuten nach Kosljun. Ein Junge verscheucht uns, noch bevor die Festmacher klar sind: Weg fahren sollen wir, heute ist doch Feiertag, da dürfen keine Boote auf der Klosterinsel anlegen.
Raus aus der Bucht, hinaus auf die Adria wollen wir aber noch nicht. Hier sprechen alle von Bora und es gibt fürchterliche Fotos davon, die wir im Internet gesehen haben. Wir haben Nordwest-Wind und hinter einem Wald liegt eine geschützte Bucht, ein Dutzend Boote und Yachten ankern dort, durchs Fernglas erspähen wir eine Mole und kreuzen hin, vorbei an zahlreichen Ankerliegern und alle hocken nackt auf ihren Yachten herum. Sie winken uns zu, wir winken zurück. Es sind Österreicher und Slowenen, Italiener und Hans. Ganz vorne, vor der Bugspitze springt Feechen hinein ins kristallklare Wasser, das doch tiefer ist als geschätzt. Hans kommt im Dingi mit Außenborder: „Es wird Sturm geben“, ruft er. Feechen läuft tapfer mit Daddeldu im Schlepptau hüfttief durchs kristallklare, warme Wasser, ein Kiesstrand, ein Pinienwald und dann ist da die kleine Mole. Ob Hans uns da vielleicht hinschleppen kann?
Römisch-katholisch ist hier ein Muss – so legt man an am Mittelmeer: Ein halbes Dutzend Motorboote liegen am Anfang der Mole. Wo es schnell flach wird – da legen wir an, aber nicht rk – römisch-katholisch. Mit dem Bug gehen wir voran an die Mole, nicht mit dem Heck – wegen der Pinne, denn das Ruderblatt muss hoch: Der lütte Anker mit fünf Meter Kette plumpst zwei Bootslängen vorm Liegeplatz hinein, ich kann zuschauen, wie er unten auf dem Sand landet. Vorne wartet die Betonmole auf Feechen. Und mindestens 50 Ausflügler, Schnorchler, Angler, grillende Männer in Badehose und Badelatschen, Frauen und Kinder und Hunde. Hans fährt los und holt kühles Bier und Wein von seiner Yacht. Viel erfahren wir von ihm über die Winde, die Buchten, das Revier – seit 40 Jahren ist er auf der Adria mit dem Boot unterwegs. Die Bora, die langsam grollend vom Festland herüberschwebt, sie beendet unsere Stegrunde abrupt und Hans eilt zu seiner Rassy rüber. 30 Meter Kette hat er ausgebracht, bei sechs Meter Wassertiefe und Sandgrund – sein Ankerplatz bei Bora – im Windschatten der Klosterinsel. Auch die Motorboote sind weg, jetzt teilen wir uns die Mole nur mit einem Holländer und seinem 8-Meter-Backdecker mit Schwenkkiel. In letzter Minute haben er und seine Frau die Mole erreicht. Wir gehen beide längsseits der Kaimauer und sind gut geschützt. Im Nu bringen die schwarzen Riesenwolken 40 Knoten Wind mit – gut, dass wir nicht ankern müssen. Wir können uns entspannen und zuschauen, wie Daddeldu vertäut im Windschatten an der Mole herumplätschert Die erste Nacht auf dem Zugvogel wartet auf uns. Abends um zehn ist es dunkel, Schlafenszeit. Der Wind zerrt an der Persenning, Regenschauer prasseln herab. Die Festmacher quietschen, weil der Wasserstand sinkt, also einmal zum Fieren kurz raus und wieder rein ins trockene Nest. Die Persenning ist Gold wert, nirgendwo tropft Wasser rein – auch diesmal trotzt sie Sturm und Regen und schützt uns und unser kleines Reich. Seltsam – bestens ausgeschlafen und gut gelaunt kochen wir uns morgens um acht unseren Kaffee. Uns erwartet ein Hafentag – der Wind pustet immer noch zu kräftig für unseren Daddeldu und uns.
Morgens ist die Welt noch in Ordnung
Wir gehen in den Pinienwald auf unserer Landzunge. Sie ist überhäuft mit spitzsteinigem Geröll, ein Schotterweg schlängelt sich einen Hügel hinauf, rings um uns herum überall Mäuerchen aus Stein, die den Wald in Parzellen aufteilen. Nach einer halben Stunde sind wir am Strand. Eingeölt, knackig braun brutzeln hier die FKKler. Wie ein Amphitheater sind hier in einem Halbrund Terrassen mit kroatischem Strand angelegt – ganz oben eine Bar, mit Schatten, kühlen Getränken und einem herrlicher Blick hinunter in eine kleine Kiesbucht und die atemberaubende, kristallklare Adria.
Kroatischer Strand, das heißt Beton. Rauer Beton. Liegen gibt’s zu mieten, Sonnenschirme auch und natürlich die Ständer dazu – mit Betonfuß. Meine Füße sind nackt – wie nackt merke ich auf dem Weg zum Shop um kühle Getränke zu holen. Der Weg ist asphaltiert, schnell fangen die Fußsohlen an zu überhitzen, dann glühen sie. Ein Gefühl, das ich fast vergessen hatte: Es ist Sommer.
Und der Wind ist weg. Und die Schaumkronen. Und Daddeldu liegt verkehrt.
Puls 180, tief aus- und wieder einatmen, Schritt für Schritt. Durchs Piniengeäst haben wir es bei der Rückkehr vom Strand sofort gesehen. Ein Motorboot liegt auf unserem Platz – allerdings rk. Und Daddeldu ist da irgendwo zwischen dem Motorboot und dem Holländer. Alle rk! Da hat jemand für Ordnung gesorgt, sich aber auch an Daddeldu vergriffen, seltsame Sitten. Der Motorbootfahrer spricht uns auf Englisch an, er habe uns verlegt, weil man hier an dieser Mole nicht längsseits geht. Wegen der Bora lagen wir hier, kein Problem. Nur das hochgezogene Ruderblatt schleift an der Kaimauer – rk eben. Doch ein Problem. Nein zwei: Wir kommen auf Daddeldu nicht rauf. Der Buganker hält bestens und von der Mole runter und rüber zum Heck, da muss ich mich gaaanz lang machen. Und schaffe es – fast – unverletzt und trocken auf dem Achterdeck Fuß zu fassen. Ein paar harmlose Schrammen nur, Beton eben. Aber dafür kann das Ruderblatt runter und der Motorbootfahrer verspricht in einer Stunde abzuhauen. Für uns ist Happy Hour mit Hans, den Holländern und Heineken bis die Zikaden verstummen.
Am nächsten Tag um zehn geht das Groß hoch, dann der Anker, dann kommt der Wind, die Genua, die Wenden, die Strände, das Fahrwasser – die Adria! Tiefblau, fast kitschig öffnet sie sich langsam, ganz langsam. Ein kleines Lüftchen zieht uns kreuzend hinaus, überall tauchen Küsten auf, Kliffküsten. Krks Süden liegt wie runzeliger Glatzkopf im stillen blauen Wasser. Selten taucht ein sandiger Streifen auf, einen Unterschlupf für Daddeldu gibt es hier nicht. Aber Landwind und der schiebt uns raumschots mit 5 Knoten rüber nach Rab. Da sollen die Sandstrände größer sein, ein Tipp von Hans.
Flache Sandbucht – ideal für Daddeldu
Ein Volltreffer. Nördlich von Lopar Richtung Osten und dann kommen die Sandbuchten. Sie sind kein Geheimtipp mehr, viele Boote liegen drin aber es ist genug Platz für alle. Schon weit vor den Stränden wird es seicht, ideal für Daddeldu. Egal ob nackt oder im Bikini oder in Badehose, überall wimmelt es von großen und kleinen Menschen. Kinder stapfen uns entgegen, die Augen groß, den Mund offen, Luftmatratzen mit eingeölten Sonnenanbetern treiben vorbei und Schwärme kleiner Silberlinge. Das Ufer lockt mit kleinen Buchten im Schatten von Pinien und Felsen, dann ein sichelförmiger Dünenstrand, dann ein zweiter und dann geht’s in die Klippen. Zwei Nächte bleiben wir, abends wird es ruhig, Wir schlafen am Strand und schauen endlich mal wieder in die Sterne. Tagsüber ist es heiß, das Wasser in der Bucht ist pi-warm. Und auch unsere Vorräte in der Bilge. Auch das Bier.
Geheimtipp für Jollen: Die Halbinsel Lopar auf Rab
Die Nordküste von Rab hat viele tiefe Buchten, große und kleine, felsige und sandige, geschützte Fleckchen zum Ankern. Nach Kap Kalifront dümpeln wir nach zwei faulen Strandtagen an ihnen vorbei. Eine Flaute hat uns erwischt. Wir haben Paddel, zwei Stück und 32 Grad im Schatten und nach jedem Motorboot, das vorbeidonnert wackelt alles und das Großsegel schlägt schlapp im Wind. Die felsige Küste mit ihren Klippen und Steinhaufen ist zum Greifen nah. Zwei Buchten schauen wir uns an, das heißt, wir segeln rein, vorbei an unzähligen Ankerschnüren und Moorings. Zum Ankern ist es für uns zu tief, mindestens fünf Meter und das Fleckchen Strand ist besetzt. Also paddeln wir wieder raus und draußen herum: Nur in den Buchten selbst weht ein Lüftchen – Minithermik. Neben der „Schinkenbucht“ lassen wir schließlich den Anker fallen – kurz vor einem improvisierten Volleyballfeld im knietiefen Wasser. Tagsüber ist das eine rappelvolle Badebucht, abends eine stille, romantische Idylle. Warm ist es. Bei den Ankerliegern wird gelacht und geplantscht, oft und gerne gehen wir zu Daddeldu, noch Dies und Jenes holen, und immer wieder Baden und nie Frieren. Wir lümmeln uns in den Sand bis die Ameisen kommen, kochen uns Nudeln, holen den Rotwein raus und schauen zu, wie der Schatten der untergehenden Sonne den Zikadensound langsam runtertuned.
Morgens um sieben kommt die Müllabfuhr, mit einem kleinen, lauten Motorboot. Zwei Männer in Overalls sammeln die Müllsäcke vom Strand ein, hängen neue hin und fahren zur nächsten Bucht. Trotzdem liegt und schwimmt überall Müll herum. Wie schade! Aber – auch wir hinterlassen was: wir haben keine Bordtoilette, keinen Fäkalientank und so müssen wir uns ein stilles Örtchen suchen und unser Geschäft verbuddeln. Im Takkatuka-Land war das einfacher als im steinigen Kroatien.
Schnell und heimlich packen wir unser Nachtlager ein, tragen die Säcke durchs morgendlich-frische Wasser hinüber zum ankernden Daddeldu und nach einer halben Stunde holen wir den Anker hoch. „Wildes“ Campen wird nicht gern gesehen und wir kennen die Toleranzgrenze der Kroaten noch nicht. Deshalb verschwinden wir recht früh. Besonders weit wollen wir nicht, eigentlich suchen wir nur mal etwas Zivilisation: Eine Dusche, einen Lebensmittelladen, ein Hafencafé.
Schon von weitem raubt es uns den Atem (damit ist es jetzt vollkommen windstill): Die Bucht von Rab empfängt uns mit ihren waldigen Bergen und dem Antlitz einer mittelalterlichen Stadt, die vom Jugoslawienkrieg verschont geblieben ist. Die vier hohen, schlanken Glockentürme locken uns hinein.
Die Einfahrt nach Rab–Stadt dauert lange. Ganz langsam huschen wir heran an die spitzen Türme, an die Stadtmauer, vorbei an Straßencafés, Wassertaxis und den großen Stegen der ACI-Marina. Dann kommen die kleinen Boote mit den kleinen Stegen. Da sind ein paar Plätze frei, wir legen uns neben ein Holzmotorboot und fragen einen Stegnachbarn, der gerade sein Deck weiß pinselt, können wir hier liegen bleiben? Na klar, kein Problem. Was wir noch nicht wissen. Wir liegen im kommunalen Stadthafen und für deren Gäste hat die ACI-Marina nichts übrig. Nein, duschen dürfen wir nicht und auch nicht aufs Klo, nur, wenn wir Daddeldu an einen großen Steg legen, sagt uns die Frau an der Rezeption der Marina. Wir sind empört, verschwitzt und durstig und trotzig: Wir bleiben jetzt erst recht im Stadthafen, irgendwie schlagen wir uns schon durch. Einen Zeltplatz haben wir bei der Einfahrt gesehen, da gehen wir hin, immer die Uferpromenade lang. Eine Eisverkäuferin wartet auf Kunden, Hotelgäste schlendern uns entgegen, um die Kurve rum taucht ein winziger Kieselstrand auf, vollbelegt mit Menschen. Die sich sonnen. Bei 38 Grad im Schatten. Sonnenschirme hat eine Pizzeria an der Promenade. Der fixe Kellner stellt uns zwei eisgekühlte Halblitergläser auf den Tisch – es zischt in unseren Schlünden. Zum Service der Pizzeria gehört auch eine Dusche. Süßwasser! Ein Keramikuntersatz, mit Ausfluss in die Kiesel, ein Zwei-Meter Wasserrohr mit Anschluss an einen Gartenschlauch – dieses Gerät steht direkt neben uns. Wir haben Duschgel dabei, Haarshampoo und Zahnpasta, ein Handtuch und frische Wäsche. Aber jeder könnte uns zuschauen, hier an der Promenade. Eine andere Dusche muss her, aber wir finden keine. Unsere Haut klebt, ein Gemisch aus Salz, Schweiß und Sonnencreme. Wir riechen uns selbst und das Bedürfnis nach Befreiung von dieser Schicht und die Lust auf Frische ist riesengroß. In einem Hotel an der Promenade finden wir große, saubere Waschräume. Wir grinsen in die großen Kristallspiegel bis die Zahnpasta zwischen den Lippen herausquillt, waschen uns Hände und Gesicht. Ja, ich hole den Rasierapparat raus und lasse mich von so manchem eintretenden Austretenden bestaunen. Aufgefrischt geht’s zurück, doch an der ACI-Marine machen wir doch noch einen kleinen Abstecher zu den Sanitäranlagen. Eigentlich nur aus Neugier. Sie sind, wie oft in Häfen üblich, nur mit Code oder mit einer Codekarte zu öffnen. Wir haben beides nicht, aber Glück: Heitere Landsleute kommen angeschlittert und gewähren uns Zutritt. Endlich der Eintritt ins Badeparadies: Milchglas, Chrom und Schiefer, lichtdurchflutet – saubere, luxuriös Duschen, Wasser satt. Her damit!
Rab ruft. Langbeinige, unten hochhakig, oben im knappen Minirock, verteilen Flyer. Für dies und das. Restaurants und Cafés füllen sich mit Touristen, alte Frauen sitzen auf Betonmauern und verkaufen Selbstgebrannten und Gartengemüse, Kapitäne kobern Flanierende, für eine Tagestour, Picknick inklusiv, Fender fallen die Bordwand einer Luxusyacht herunter, Lichtprobe und Soundcheck in der Hafendisco und dann steigen wir ins UNESCO-Weltkulturerbe hinauf: Pittoreske Gassen, Häuser und Menschen, sie Singen im Chor, verstärkt durch den Hall der Klostermauern, dahinter Ruinen, dann ein kleiner Platz mit einer uralten Schirmakazie mittendrin. Mit uns sind auch andere hierhergekommen, es ist ein beschaulich schönes Plätzchen für den Sonnenuntergang. Kroaten kommen vorbei, eine lange schmale Treppe gehen sie hinunter an einen Lilliputanerstrand wo sie in der kristallklaren, blauschimmernden Adria eine Runde schwimmen und dann wieder gehen. Verliebte Pärchen bleiben und machen Fotos, wir auch.
Dinner bei Kerzenschein gibt’s am Markt. Viele gehen dahin und trotzdem sind Köche und Kellner nicht überfordert – verbindlich und schnell machen sie ihren Job. Schwarze Hose, schwarze Schuhe, weißes Hemd, das scheint eine Vorschrift für die Ausübung des Kellnerberufs zu sein. Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass es ja nur drei Monate sind, in denen es hier richtig brummt. Aber mit dem EU Beitritt wird das besser, dann kann er als Kellner überall in Europa arbeiten, sagt er. Auch im Frühling, Herbst und Winter. Ein ganz anderes Leben kommt dann.
Das Hafenbüro feiert eine Party und wir sind mit dabei, am nächsten Vormittag. Beim Schiffsausrüster hatten wir erfahren, dass die Capitanerie in die Altstadt umgezogen ist und das ordentlich feiert. Wir wollen uns ordentlich einklarieren und eine Vignette haben, die hier offenbar jedes Boot hat. Brauchen wir eine? Haben Sie einen Motor? Nein. Auch nicht einen ganz kleinen? Ich schaue Feechen an und sie mich. Nein, wir schütteln lachend unsere Köpfe. Auch keinen ganz kleinen. Die Frau hinterm Tresen lächelt, na, dann brauchen Sie keine Vignette. Aber dürfen wir auf dem Boot schlafen? Nur mit Vignette, sagt die Frau. Sie lächelt wieder, runzelt dann die Stirn und ruft einen Kollegen, der gerade anderen Kollegen der Capitanerie mit einem Sektglas zuprostet, quer durch die Capitanerie unsere Frage mit ausführlichen Erläuterungen zu. Der junge Mann antwortet sofort auf Englisch, an uns gewandt: Das Eine ist das Gesetz, das Andere ist das Leben. Warum nicht? Wenn Sie schlafen müssen, aus nautischen Gründen, weil das Wetter nicht gut für Sie ist, dann müssen sie schlafen, das ist in Ordnung. Sie können auch Pensionen besuchen oder Zeltplätze und wenn es nicht anders geht, dann müssen sie eben auf dem Boot schlafen. Daumen nach oben, wir bedanken uns, bekommen ein Gläschen angeboten und verschwinden mit einem guten Gefühl, denn die kroatische Bootsvignette ist Geldschneiderei.
Es ist heiß. Kein Wind. Kein Hauch. Nur Hitze. Segeln geht nicht. Wir wollen Baden – irgendwo an einem Betonstrand. Die lieblichen Buchten sind nur per Boot oder nach einer ausgiebigen Auf-und-Ab-Wandertour zu erreichen. Ein schattiges Plätzchen in Reichweite einer Strandbar reicht uns: Wir machen’s kroatisch: Wir legen unsere großen Handtücher großzügig auf der Promenadenmauer aus, verteilen unsere Utensilien weitläufig Drumherum, schlüpfen in die Badeschuhe und staksen in die warme Adria. In Stehhöhe sind nur Steine am Meeresboden, selten mal ein Seeigel, wenn es tiefer wird kommt Sand. Und kleine Fische. Sie schwärmen lustig um einen herum, fast neugierig, nein, sie betteln. Eine aufgerissene Chips Tüte mit Chips Resten schwimmt neben mir, da sind die Winzlinge scharf drauf. Für den Angelhaken der Mädchen, die barfüßig auf einer kleinen Mole stehen, sind die noch zu klein. Der Vater erzählt uns, dass die Kinder hier ihre Ferien verbringen. Bei den Großeltern. Er kommt so oft es geht hierher, sagt er. Es ist sein Zuhause. In Zagreb arbeitet und lebt er, vier Autostunden oder 250 Kilometer von Rab entfernt. Hier an der Küste gibt es keine Arbeit, erklärt er, nur den Tourismus im Sommer und ein bisschen Landwirtschaft und Fischfang. Seine Töchter sind darin jedenfalls erfolgreich. Papa befreit die sardinengroßen Fische vom Haken, dann schauen sie sich das glitschige Tierchen an, fühlen mal drüber und Schwupps, ist es wieder in seinem Element.
Leckere Meeresfrüchte, frischer Fisch frisch gegrillt und natürlich Kartoffeln – neben der Tankstelle wird ein abendliches Festmahl für uns in einem unscheinbaren Restaurant serviert. Kroatische Großfamilien essen hier, Riesenportionen werden verputzt, die Kinder sind schlank, die Älteren weniger. Die Rechnung hat deutsches Niveau, das kroatische Essen ist hier aber ausgezeichnet. Dann spazieren wir die Hafenpromenade entlang, jetzt riechen alle Menschen gut und haben sich schick angezogen. Rab ist zum Flanieren und Chillen am Abend ein nettes Plätzchen. Kurz vor Mitternacht kehren wir zurück zu unserem Schlafplatz am Steg und klettern hinunter auf Daddeldu. Dann hören wir Stimmen verstehen aber kein Wort. Ein Mann wird laut, irgendwas poltert. Wir stecken unsere Köpfe raus, blinzeln gegen die Blendung der Straßenlaternen an und schon heult ein Außenborder auf. Mit großen Augen verfolgen wir einen wütenden Mann, zehn, elf Liegeplätze von uns entfernt, der mit Vollgas rückwärts seinen kleinen Flitzer ausparkt, umschaltet und mit voller Kraft durchstartet, um den Steg herum eine scharfe Kurve zieht und auf der anderen Stegseite wieder einparkt. Lauthals. Alle Boote am Steg knallen gegen die Wellen, ein tief liegendes Fischerboot nimmt eine Ladung Hafenwasser auf und versinkt noch ein Stückchen tiefer. Der Mann vertäut sein Boot, am Steg steht eine Frau, sie gehen und wir staunen über so einen Gewaltausbruch im friedlichen, nächtlichen Hafen von Rab.
Die Leuchtturminsel Trstenik ist unser nächstes Ziel. Um acht Uhr morgens ist es auf unter 30 Grad abgekühlt. Draußen liegt ein leichter Dunst auf der Adria, die unzähligen Inseln scheinen in Wattebäusche gepackt, die fernen Küstenlinien sind verwischt. Ganz still glänzt das Meer uns mit seinem strahlendsten Blau an, eine einzige große spiegelglatte Fläche ohne einen Hauch von Welle oder Seegang. Ganz in Ruhe genießen wir einen frisch gebrauten Cappuccino auf der Terrasse des Hafencafés, dazu ein ofenwarmes Croissant. An der Tankstelle der Marina drängeln sich die Yachten, bunkern was sie können, wappnen sich fürs Buchten-Hopping. Kurz vor halb zehn bewegt sich die Tankstellenflagge am langen Fahnenmast. Wir legen ab. Ein leichter Seewind streift uns, also anluven und nichts wie hinterher. Es passt genau: da wo der Anleger in Trstenik sein soll, bringt uns ein bequemer Anlieger hin. Segel tauchen auf, überall, ringsherum, so viele haben wir all die Tage nicht gesichtet. Ein paar weiße Dreiecke liegen auf Daddeldus Kurs, und wenn wir genau hinschauen entdecken wir bei denen auch mal eine Bugwelle. Die Yachten fangen an zu laufen, eine leichte drei für uns alle, prima, jetzt macht Segeln wieder Spaß.
Mit einem Pärchen auf einer 44er erreichen wir die Bucht mit dem einzigen Anleger von Trstenik. Nirgendwo sonst ist ein Zutritt zu der Insel möglich: lebensfeindliche Klippen, Felsvorsprünge, Geröll und Riffs umschließen Trstenik. Die Yachties lassen uns zum Erkunden vorfahren. Wir haben das Handbuch „888 Häfen & Buchten“ dabei, die Seekarte taugt für den Landgang nicht. Und wir haben ein gutes Fernglas. Also Genua runter und vorsichtig an den Unterwasserfelsen vorbei, immer der sandigen Nase entlang hinein in die Bucht. Das Groß muss runter, hier dreht der Wind. Das Schwert muss hoch, vorne sind Steine. Das Paddel muss raus, sonst treiben wir in die Klippen. Nicht weit von hier entfernt steht ein Mahnmal. Es erinnert daran, dass 15 Kinder an der Küste von Trstenik zu Tode kamen, weil sie bei einer Bora an die Felsen gespült wurden. Tatsächlich lauern überall scharfkantige Steine, natürlich auch nahe der Betonpier. Da legen wir an, längsseits, ist ja sonst keiner da. Die 44er tastet sich langsam unter Motor auf unserer Spur in die Bucht, nein, sie trauen sich nicht rein, brechen ab und fahren rückwärts wieder raus, werfen dort Anker und baden. Wir erkunden die Insel: Dornen, Geröll, Eidechsen, Grillen, Kaninchen und eine Falkenfamilie gibt es. In der Mitte steht der Leuchtturm, automatisch betrieben und das heißt, unten – um den Eingang herum – ist alles vermauert und verkommen. Wo der Turm Schatten wirft, da ranken Brombeeren, sonst gibt es keinen Schatten auf Trstenik. 40 Grad sind es bei den Brombeeren. Wer die Insel kennt und schlau ist, bringt also einen Sonnenschirm mit. Glücklicherweise kommt genauso ein Schlauer mit dem Motorboot an. Schnell gewinnt er in mir einen Freund und das feiern wir mit einem kalten Bier aus seiner Kühlbox. Wieder ein Österreicher, er war schon tausendmal hier, ist ja nicht weit weg von Zuhause. Auch er war an der Tankstelle heute Morgen. Wir reißen die Bierdosen auf und schon fange ich an zu schwitzen. Einen Reservetank mit 20 Litern hat er dabei, immer.
Die Tragödie von Trstenik, der Tod der 15 Kinder, das sei das gemeine Gesicht der paradiesisch scheinenden Adria. Er hat sie schon so oft gesehen, kleine Motorboote in Seenot, Yachten, die zerschellen. Weil plötzlich die Bora kommt, oder der Yugo. Wie wir unterwegs sind, ohne Motor, riskant sei das, sagt der Schlaue. Nach dem Bier segeln wir weiter, auf Trstenik ist es uns zu trist. Bis Cres sind es zwei Meilen, da warten bewaldete Buchten auf uns.
Bei Leichtwind läuft der Schwertzugvogel schnell und hoch am Wind. Das Gepäck im Vorschiff stört nicht und so wir haben viel Platz zum Rumlümmeln. Ein ziemlicher Luxus im Vergleich zum Piraten. Wir haben auch eine winzige, aber hilfreiche Bade-Strickleiter dabei, wenn es uns zu heiß wird an Bord. Oder zu langweilig. Die Fahrt nach Cres war es nicht: Der Westwind dreht auf Süd, weht genau in die Buchten, hinein die eigentlich unser anvisiertes Ziel sind. Eine Nachmittagslaune? Bislang war Nordwind vorherrschend. Die Küste ist üppig bewaldet und tatsächlich entdecken wir immer wieder mal Rotwild, das aus der Deckung heraus kommt und fast bis auf die Klippen klettert. Danach kommen Steinhaufen und –burgen, Sonnenschirme und –segel, Buchten öffnen sich, in denen ankern Yachten. Ein paar winzige Sandstreifen mit Badenden sind zwischen den hügeligen Felsen versteckt. Wer hier ankert, liegt auf Legerwall. Unserem Mini 1,5 kg Klappdraggen trauen wir nicht, trotz 5-Meter Kettenvorlauf, denn der Südwind hat kleine Wellen aufgebaut. Zum Festmachen wollen wir einen Sandstrand, an dem wir niemanden stören oder wir brauchen einen Steg. Der erstbeste kommt in Baldarin, an der Südspitze von Cres. Am Ufer ist ein Restaurant, eine Bar mit Terrasse – der Steg ist für Gäste, zwei Motorboote und zwei Schlauchboote liegen da, aber es gibt eine Lücke für uns. Segel rein und hinein – der Wind schiebt uns, die Welle drückt, die ganze Bucht ist voll mit ankernden Booten rund um den Steg. Viel Platz zum Manövrieren ist da nicht, aber es reicht für einen Aufschießer, Daddeldu bleibt fast stehen und uns das Herz: Ein Teppich von Seeigeln lacht uns aus dem Hafenbecken an. Die Tierchen hocken eng an eng auf dem Geröll, das unter dem glänzenden Wasserspiegel schlummert. Vorsichtig hangeln wir uns zwischen den zwei Motorbooten an den Betonsteg. Wir sind mittendrin im Naturist Camping Baldarin.
Kleiderordnung im FKK-Camping Baldarin
Die Anlage schlängelt sich die Küste entlang und ist in einem Pinienwald versteckt. Wir schlagen unser Zelt in Sichtweite von Daddeldu auf. Ein schattiges Plätzchen und gleich nebenan lockt ein kleiner Badestrand mit kristallklarem Wasser. Nur mit Schnorchel, Tauchermaske und Flossen bekleidet (Badehosen sind verpönt) gleite ich hinein. Es ist warm, der Untergrund mit Steinen und betonierten Autoreifen übersät, ein Gewirr aus abgerissenen und noch verspannten Leinen hängt herum, einzelne bunte Minifische glotzen herauf und nach wenigen Zügen muss ich schon abtauchen, weil sich die Sonne schon in meine Platte auf dem Kopf einbrennt. Unten ist es sandig, steinig, dann felsig – eine Fortsetzung des landwärtigen Reliefs. Hin und wieder taumeln langblättrige Seeblumen in die Höhe, dazwischen schwimmen ein paar kleine Fische Slalom.
Ein tellergroßes Exemplar landet später im Restaurant bei uns – der teuerste Fisch unseres Lebens: 70 Euro für 20 Gabelspitzen – serviert nach zwei Stunden Grillzeit und der Kellner buckelt wie verrückt. Er ist nicht nackt sondern bedient in Schlips und Kragen, mit schwarzen Lackschuhen an den flinken Füßen. Die Gäste kommen mit Booten angefahren oder wie Gott sie schuf von ihrem Wohnwagen oder Zelt. Es sind Familien, viele Kinder darunter, sogar Teenagergruppen. Wir treffen sie zur Abendzeit, dann herrscht Rush-Hour in den luftigen, sauberen Badehäusern, architektonische Leckerbissen im Pinienhain des Camps. Fast überall verschwunden sind die Container mit Nasszellen, wie wir sie an der Ostsee oft finden. In dem großzügigen, licht- und luftdurchfluteten Badehaus von Baldarin wird nicht nur geduscht, rasiert und gecremt – hier wird auch posiert: Den Hintergrund liefert eine Reihe von zwölf Edelstahlbecken, umrahmt von Plastikschüsseln, Töpfen und massenweise Geschirr. Eng an eng stehen da fleißige Abwascher, hin und wieder von einem Abtrockner unterstützt und alle sind nackt. Und fröhlich. Und man grüßt sich.
Im Schutz der Dunkelheit zieht sich das Meer zurück und Daddeldu zerrt an den Festmachern. Mit Kopflampe bekleidet muss ich raus, zum Betonsteg, rauf auf Daddeldu und ihn so verholen, dass er jenseits der scharfkantigen Steine im Hafenbecken schwimmt. Statt des empfindlich dünnen Sperrholzrumpfes hätte ich jetzt gerne Massivholzplanken. Immer wieder prüfe ich in der Nacht, den Abstand zu den bösen Steinen – bis zum Morgen verhole ich immer wieder neu, bis bei Sonnenaufgang der Höchstwasserstand wieder da ist. Ein knapper Meter Tidenhub ist unangenehm, wenn im flachen Hafenbecken kantige Steine herumlungern.
Blick von Ilovik auf die Einfahrt
Nach zwei Nächten schnappen wir uns die Halbzehn-Brise und zischen nach Ilovik, dem Hiddensee des Archipels. Die Einfahrt hat es in sich – wenn man nur unter Segeln unterwegs ist. Bergrücken, Wälder, Kaps, Düsen und Flautenlöcher, all das was Mikrowetter ausmacht, hier trifft es sich. Es ist Mittagszeit, kurz vor Eins und wir kreuzen in die Rechts-Links-Kombination hinein zur Ansteuerungstonne. Ein Winddreher drückt uns dann plötzlich wie in einen Trichter in die Passage zwischen den Inseln Ilovik und Sv. Petar. Touristen sind hier gern gesehen, Ausflügler oder Yachties sitzen in den Bars und Cafés, es gibt unzählige Bojenfelder und große Kaimauern und es gibt für uns einen Fischerhafen. Wieder ist zufällig ein Restaurant in Stegnähe und wieder ist es kein Problem, dass wir da liegen, sagen uns die Kellner. Unser Liegeplatz ist ruhig und schön, ein romantisches Plätzchen dieses Illovik. Verschlafene Wege führen ins Dörfchen mit seinen bunten Häusern und kleinen Geschäften. Am Kirchplatz sitzen die Alten im Schatten der großen Eukalyptusbäume, wir nicken uns zu und biegen ab, hoch auf den Bergrücken, wir wollen die Aussicht genießen. Ein steiniger Pfad führt zwischen Mäuerchen und brachliegenden Parzellen den Berg hinauf, eine Allee krüppeliger Zedern spendet ein bisschen Schatten. Auf ihren Ästen hocken dicke Brummer, die durchstarten sobald wir ihnen nahekommen – wolkenartig steigen sie geräuschvoll auf und umkreisen uns laut brummend, manche fliegen Huckepack – Paarungszeit beim Iloviker Zedernkäfer. Der Aufstieg ist schweißtreibend (991 Meter!), der Ausblick grandios und auch der Weg zurück, denn – am oberen Kirchplatz gibt’s einen Brunnen, 22 Meter tief und gefüllt mit kühlem Süßwasser – was für eine Erfrischung! Es sind 30 Grad, abends um halb sechs. Ein Dorfbewohner kommt mit einer Schubkarre und Wasserkanistern zum Brunnen. Offenbar sind nicht alle Häuser an Wasserleitungen angeschlossen und Autos gibt es hier nicht. Wir haben schon gelernt, dass Süßwasser ein kostbares Gut ist, denn nach einem Segeltag sind wir mit Sonnencreme verschmiert und haben dazu eine salzige Schicht auf der Haut. Eine Dusche am Abend ist ein Luxus geworden, den wir zu schätzen wissen.
Liegeplatz zwischen Fischerbooten in Ilovik
Auf dem Kirchplatz tummeln sich jetzt Kinder, ein Dutzend vielleicht. Sie spielen Fangen und Verstecken, Singen und Lachen dabei. Ein paar Erwachsene sitzen drumrum und schwatzen miteinander, manche auf Englisch. Das sind die Ilovik-Amerikaner, Auswanderer, die zum Urlaub kommen oder die Reste ihrer Familie besuchen. Im Winter leben nur 30 bis 70 Menschen auf der Insel – je nachdem, ob gerade Besuch von Übersee da ist. Kurz vor Sonnenuntergang tauchen überall plötzlich Menschen auf. Beim Bäcker stehen jetzt ein paar Leute nach einem Eis an, vorm Tante-Emma-Laden begutachten Yachties die Auslagen heimischen Gemüses: Unförmige Tomaten, schrumpelige Zwiebeln, kleine Gurken. Sie wachsen nur noch in den Gärten – die parzellenartigen Felder werden nicht mehr bewirtschaftet. Kein Wunder – ein Kilo handgezogene Inseltomaten kosten 1 Euro, eine kleine Cola 1,50 Euro im Restaurant – da lohnt sich der Anbau nicht mehr. Rund um den Hafen haben sich einige Restaurants breitgemacht – mit großen Terrassen, mit vielen Tischen und vielen Stühlen und die sind fast alle besetzt. Abends um zehn ist Feierabend und das heißt für uns mal wieder: Wenn es pressiert, geht’s in die Büsche: Kein Klo, kein Bad, keine Dusche, Zähneputzen am Steg und Händewaschen unter der Wasserflasche. In einer einsamen Bucht ist das normal, in einem Hafen ist es immer unangenehm für Jollensegler, wenn es nicht einmal ein frei zugängliches Klo gibt.
Morgens um sieben Uhr fünf rauscht ein Motorboot durch den Hafen, vorbei an Daddeldus Heck, Rückwärtsgang, Speed, Vorwärtsgang, Speed, hin und her, alle Booten zerren an den Leinen, so schaukelt uns der Hafenmeister mit seinen Gesellen wach. 12 Euro Hafengeld und wir sollen verschwinden, unser Liegeplatz gehöre einem Fischer. Wann der zurückkommt, dass weiß der Hafenmeister nicht, ja gut, wir können noch frühstücken aber sollen uns sofort auf die andere Stegseite verholen. Dann rauscht das Boot davon, mit Kurs auf die Moorings an denen Yachten liegen. An der Hafenpromenade suchen wir uns eine Sitzbank, bauen unseren Campinggaskocher auf und kochen Kaffee, dazu gibt’s Kekse und Kuchen. Die Restaurants öffnen erst um halb zehn. Normalerweise. Unser Restaurant am Steg bekommt kurz vor neun Besuch von der Wasserschutzpolizei. Es gibt Kaffee, gebratene Eier und dabei schauen die vier Uniformierten interessiert zu, wie wir Daddeldu klar machen. Eine leichte Brise füllt die Segel, genau vorm Restaurant nimmt der Zugvogel Fahrt auf, wir winken den glotzenden Beamten zu, nur einer von ihnen winkt zurück, vor uns liegt der Rückweg. Eigentlich wollten wir bis zur Sandinsel Susak südlich segeln, doch der flaue Wind lässt uns nicht vorankommen. Wir dümpeln im Windschatten die Ostküste von Losinj entlang, die meiste Zeit paddelt Feechen, mal tapfer, mal wütend, weil es heiß ist und die Segler draußen mit gefüllten, bunten Spis Richtung Cres abzischen. Um halb eins legen wir endlich an der Kaimauer von Sv. Martin an, einem winzigen Fischerhafen an der Ostseite von Mali Losinj. Ein Felsstrand mit öffentlichen Duschen liegt direkt vor Daddeldus Bug, rundherum zwei Bars und zwei Pensionen.
Ein sicherer Hafen: Sv. Martin
Wir nehmen uns ein Zimmer mit Hafenblick, Ventilator und Riesenbett, zahlen acht Euro Hafengeld in der Bar, lassen uns bedienen und gönnen uns eine Siesta hinter verschlossenen Fensterläden, 39 Grad sind es im Schatten.
Die Altstadt mit ihrem großen Hafen und einem Riesentouristenangebot liegt auf der Westseite der Insel, nur einen kurzen Fußweg von Sv. Martin entfernt. Menschenmassen drängen sich auf den Promenaden und Plätzen, durch Gassen hindurch zum Hafen runter. Wenn dieses Gewühle noch Vorsaison ist, wie muss es dann erst im Sommer zur Hochsaison hier zugehen?
Hoch her geht’s in unserer Pension: Die Wirtsleute sprechen ausgezeichnet Deutsch und das wird mit einem ersten Sliwowitz begossen. Wie das früher war erzählen sie, da kamen die DDR-Kinder, da war hier immer Saison, wegen der salzigen Luft. Nein, besser geworden ist es nicht. Und es wird auch nicht besser werden, EU hin oder her, meinen die Wirtsleute. Unsere Mitbewohner, eine Gruppe Österreicher, ist da ganz anderer Ansicht: Dann gäbe es endlich Rechtsicherheit und Standards, vorbei wäre es mit der Bootsvignette und den wilden Bojenfeldern, weil das nicht europäisch sei, da sind sich die Österreicher sicher. Wir verabschieden uns am nächsten Morgen von allen und zischen nach Sv. Kriz auf Cres. Diesmal weht es so kräftig, dass wir reffen müssen und das heißt, Feechen rollt die Genua ein – wir haben keine Reffs im Groß. Eine große Motoryacht hält auf uns zu, sehr schnell kommt sie näher, Kurs und Tempo bleiben konstant. Auch bei uns. Schreckliche Sekunden vergehen – Wende! – die Yacht rauscht an uns vorbei, Stars and Strips am Flaggenstock, darunter die kroatische Flagge. Ilovik-Amis haben wir also diese Breitseite zu verdanken. Mit klopfenden Herzen und weichen Knien kreuzen wir in die Bucht von Sv. Kriz. An der Betonmole steht ein grauhaariger, bärtiger Mann und schaut uns zu, bis wir in Rufnähe sind: „Mader?“ ruft er rüber. „Eigenbau!“ antworte ich. Wir verstehen uns von Anfang an. Früher ist er auch Schwertzugvogel gesegelt, erzählt der Grauhaarige. Jetzt hat er ein Motorboot. Wie schade, aber wir können es in diesem Revier verstehen – ohne Motor ist es auch für uns zeitweise grenzwertig: Lange Flauten und die Angst vor einer Bora vermiesen uns manche Etappe.
Noch keine Boragefahr, es fehlt der Amboss
In den Buchten aber verfluchen wir jeden Motor – meilenweit sind die Nervensägen zu hören und zerstören jeden Anflug von Idylle. Der Grauhaarige hat hier sein Plätzchen gefunden, ein Häuschen gemietet und er hat den Kühlschrank voll mit eiskalten Getränken. Er selbst hält sich an Red Bull. Wir kriegen was wir wollen: Einen gekühlten Prosecco aus der Dose. Seine Frau trinkt Wasser und räkelt sich auf der Liege im Schatten einer Hecke von Zypressen, wir sitzen auf dem Boden daneben und reden von der Zukunft. Er hat jetzt endlich einen großen Außenborder, nun sind mal andere Ziele dran, schwärmt er. Und notfalls übernachten sie beide auf ihrem kleinen, kräftigen Motorboot. Das nächste Mal vielleicht, sagen sie und packen ihre Sachen. Sie fahren zurück nach Österreich. Wir gehen baden.
Die gesamte Bucht haben wir jetzt für uns ganz alleine – bis ein Kleinbus vorfährt und eine lebenslustige Großfamilie aussteigt. Es ist genug Platz für alle, aber da wo wir auf unseren Handtüchern liegen, da wollen sie unbedingt hin. Seltsam finden wir das, auch weil keiner aus der Gruppe uns anschaut oder mal Hallo sagt. Campingstühle werden aufgebaut, Kühltaschen postiert und Fressalien verteilt, die Kinder pusten Luftmatratzen und Schwimmringe auf, dann laufen sie zu Daddeldu an den Steg und springen um ihn herum ins Wasser. Fontänen landen im Cockpit (unser Bett in der Nacht) und wir überprüfen unsere Kinderfreundlichkeit. Deeskalation zur Konfliktbewältigung – da sind wir uns einig, trotzdem schnaufen wir ein bisschen als wir still unsere Handtücher nehmen, uns ein anderes Plätzchen suchen und Daddeldu mit der Persenning vor der planschenden Kinderhorde schützen. Es fällt uns auf, dass Italiener, Österreicher, Slowenen und Deutsche uns grüßen, wenn wir uns auf dem Wasser, auf einem Spaziergang oder in einer Bucht begegnen – Kroaten machen das nicht, sie sind verschlossen. Wie sehr, das bekommen wir am kommenden Tag nach einem langen Segeltörn nach Supetarska Draga, an der Nordspitze von Rab gelegen, zu spüren.
Nirgendwo können wir anlegen, überall werden wir verscheucht: Aus den Buchten, von den Stegen, von den Kaimauern. Es gibt doch eine Marina, sagen die Leute und wir schauen uns das an: 12-Meter-Boxen gibt es an den leeren Schwimmstegen der seelenlosen Anlage. 37 Euro Hafengeld für Daddeldu, nein, eine Hoffnung gibt es noch: Der Stiegenwirt mit seinem Steg. Sein Wirtshaus thront über der Bucht und er kommt raus auf die Veranda als wir bei ihm anlegen. Per Megafon weist er uns einen Liegeplatz zu, auf der flacheren Seite der Betonmole, damit die großen Motoryachten seewärts liegen können. Ein bisschen schützen sie Daddeldu so vor dem Schwell, der sich in der Bucht aufschaukelt. Wir holen uns einen frischen Satz Klamotten aus dem Seesack, dazu Seifen und Lotionen und steigen die Stiege hinauf zum Haus. Es sind 37 Grad. Wir bekommen ein Zimmer mit Riesenbett für 50 Euro mit Frühstück, Balkon und Blick über die Bucht.
Beim Stiegenwirt in Supetarska Draga, Bucht (draga) des Heiligen Petrus (supetar)
Wir sind erschöpft, weil wir seit dem frühen Morgen pausenlos in der Sonne waren, viel paddeln mussten und so lange vergeblich nach einem Liegeplatz gesucht haben. Unter der kalten Dusche kommen wir langsam wieder zu uns. Dann hören wir Rufe unten im Haus, Help! Hilfe! Die Urgroßmutter ist aus dem Bett gefallen. Halbnackt liegt sie in ihrem verdunkelten Zimmer auf dem Boden und wimmert. Die Wirtsfrau holt uns und gemeinsam schleppen wir sie aufs Bett zurück. Hier wird sie irgendwann sterben, gepflegt von ihren Kindern, von der Familie. Die sitzt am nächsten Morgen beim Frühstück auf der Terrasse, an einem großen Tisch. Mittendrin die Urgroßmutter. Sie ist frisiert, trägt ein hübsches, knallrotes Kleid und erkennt uns nicht, als wir zu ihnen kommen und unsere Rechnung bezahlen. Wahrscheinlich hat sie auch ihren Bettsturz vergessen, jedenfalls schaut sie froh und glücklich in die Runde.
Die Gefängnisinsel Grgur liegt gleich um die Ecke. Nach einer mühseligen Kreuz aus der Supetaska Bucht heraus, rauschen wir mit sieben Knoten über die Adria. Am Mittag legen wir an der Kaimauer des früheren Straflagers an. Ein Restaurant ist dort in eine Ruine eingezogen, ein Generator liefert Strom für den Kühlschrank und die Musik. Bei Sonnenuntergang wird geschlossen, auch das Klo. Dann fahren die Köche und Kellner mit dem Boot zurück ans Festland.
Kleiner Dammhirsch auf Grgur, einer früheren Gefängnisinsel
Aus dem Gebüsch tauchen vier Dammhirsche auf und stolzieren den Hafen entlang. Sie wühlen ein bisschen in den Müllhaufen, ziehen dann gelassen ihres Weges. Seevögel fliegen die Küste ab, Fische springen und die Sonne versinkt in prächtigem Rot in der schillernden Adria. Daddeldu schaukelt sanft mit dem Bug zur Kaimauer und eine Muring am Heck, die Persenning hängt über dem Baum und wir liegen fast nackt darunter, blicken an der Pinne vorbei auf den Sternenhimmel, der hier so klar über uns scheint weil nirgendwo ein Licht brennt. Was wir noch nicht wissen: Es wird unsere letzte Nacht auf Daddeldu.
Die Bucht von Konobe mit dem dortigen Campingplatz hatte uns Hans, der Kroatienkenner der ersten Stunde, empfohlen. Dort kommen wir nach stundenlangem Paddeln am nächsten Mittag an. Der Badestrand ist mit einer Bojenkette abgesperrt, davor liegen etliche Boote und Yachten vor Anker oder an Moorings. Sieben Meter Wassertiefe, zum Ankern ist es für uns viel zu tief, also schnappen wir uns eine freie Muring. Für ein paar Sekunden nur, dann ruft ein Mann vom Ufer rüber und zeigt mit einer deutlichen Geste, das wir verschwinden sollen. Also weg von der Muring und weitersuchen, aber nein, da kommt der Mann per Schlauchboot angerauscht. Wie sollen verschwinden, 250 Meter Mindestabstand zur Küste sonst ruft er die Polizei, das sei der FKK-Campingplatz Konobe. Wir wissen das und wollen da übernachten. Dann sollen wir über den Landweg zum Eingang kommen. Weg! Haut ab! Wir setzen die Segel und fahren nach Hause, enttäuscht von der Unfreundlichkeit. Warum verjagt man uns hier ständig?
Jollenwandern in Kroatien, es war schwierig. Unser erster Mittelmeertörn mit unserem Daddeldu. So richtig frei gefühlt haben wir uns hier nicht. Jollensegler brauchen geschützte Plätze für die Nacht. Dort, wo der Tourismus boomt, sind Jollen nicht willkommen: Gastliegeplätze sind für Yachten dimensioniert, auch beim Hafengeld. Bei den kleinen Stegen ist immer irgendwann jemand gekommen und hat uns gebeten, möglichst bald wieder zu fahren. Also legen wir in Punat bei Alan am Café an, holen den Trailer vom Eismann und Daddeldu aus dem Wasser. Mit dem 12-Meter-Gespann suchen wir an der kurvenreichen Küste eine Unterkunft für die Nacht, es wird langsam dunkel und alle Zimmer sind ausgebucht. Autofahren wollen wir nicht, können wir auch nicht nach diesem langen Tag. In der Dämmerung klettern wir mit unserem Gefährt endlich auf einen Campingplatz am Stadtrand von Krk. Das Zelt schlagen wir auf einer Terrasse mit Fernblick auf, Daddeldus Salzkrusten werden mit Süßwasser gespült, das Unterwasserschiff ist ohne Algen- und Muschelbelag und ohne böse Stellen, auf dem Kocher steht ein Topf mit serbischer Bohnensuppe und plötzlich ist die Tour zu Ende, morgen sind wir auf der Autobahn. In Deutschland schimpfen sie alle über den kühlen Sommer. Wir nicht. Wir gehen Segeln! Flaute und Hitze sind vorbei, es ist schön Zuhause.