Olafsvik – Reykjavik, das sind 90 sm über die Faxafloi-Bucht. Der Segelwind reicht nur für die erste Hälfte der Strecke. Bei spiegelglatter See laufen wir am Dienstag früh in den einzigen Segelhafen Islands ein und machen, wir glauben es kaum, an einem Schwimmsteg fest. Der Brokey Yacht Club liegt seeseitig direkt zu Füßen des neuen Konzerthaus und Wahrzeichens Reykjaviks, der „Harpa“ (Harfe), einem, wie wir finden, durchaus gelungenen und beeindruckenden, riesigen Glasbau, dessen Fassaden von verschiedenen Wabenstrukturen geprägt sind, die das Wasser und den Himmel und auch uns, die wir quer davorliegen, spiegeln.
Beeindruckt sind wir auch von den Räumlichkeiten des Yachtclubs, nur einen Steinwurf vor der Harpa: 4 schwer angerostete, ursprünglich orangefarbene Container, die Toiletten, eine Dusche, das Büro und einen Waschmaschinenraum beherbergen. Alles funktioniert, wirkt jedoch wenig einladend, ist recht angegammelt und ungepflegt und dem so exponierten Ort wenig angemessen.
Für die Zeit hier in der Hauptstadt gibt es ein volles Programm: Propangas besorgen, 2 Päckchen aus Deutschland in Empfang nehmen, einen Minicamper mieten, die Reisevorbereitungen für den großen Schlag nach Süden und sightseeing. Obwohl wir überhaupt keine Lust auf „Stadt“ haben.
Die Auskunft in der Marina lautet zwar, ausländische Gasflaschen füllen zu lassen sei in Island nicht möglich, aber da 2 unserer 3 Flaschen leer sind, sind wir den Prognosen zum Trotz zum Erfolg verdammt. Eine kleine 3stündige Odyssee mit dem Mietwägelchen durch Reykjavik, die uns nach einigen Fehlleitungen unter anderem und Gottseidank ins Gaswerk führt, wo wir mit Hilfe des konsterniert auf unsere 2 Flaschen starrenden, aber sehr freundlichen Wachmannes am gut gesicherten Werkstor in Erfahrung bringen, dass hier nur große Tanklaster abgefüllt werden. Nach längerem Telefonat mit dem Gaswerksdirektor wissen wir, wo der einzige Laden ist, in dem wir fündig werden könnten. Den finden wir auch bald und können die Jungs dort tränendrüsendrückend weichklopfen, sich unserer Sorgen anzunehmen. Die wiederum halten Rücksprache und Fürbitte im Gaswerk (in „unserem“ Gaswerk!), und: wir können die Flaschen dort lassen (am Freitag) und können sie am Montag! wieder abholen, voraussichtlich gut gefüllt. Mit der guten Nachricht im Gepäck starten wir nun auf unsere Island-Südtour. Das Reiseprogramm sieht vor: Gletscherseebootsfahrt am großen Vatnajökull, dem größten Gletscher Islands, großer Geysir, Thingvellir, der Ort an dem die ersten Siedler vor mehr als 1000 Jahren eine Art Parlament betrieben haben, Gullfoss, der Goldene Wasserfall und Skalholt.
Der Minicamper (s. Foto) ist sehr schlicht und, wie nicht anders zu erwarten, funktional ausgestattet. Schlafebene mit komplettem Bettzeug, Webastoheizung, Klapptisch und – hocker, Campinggeschirr und – kocher, Gasgrill natürlich, Frischwasserkanister und Kühlbox. Mehr braucht der Segler nicht.
Zu den Landschaftsbeschreibungen fällt mir einfach nix mehr ein. Es ist wieder eine zauberhafte Strecke, auf der sich die Straße wieder zwischen Küste, an der sich Basaltklippen und Lavastrände abwechseln und Bergen, von denen die Gletscherzungen bis in die Ebenen hinunter lecken, entlang windet, wieder und wieder in diesem sagenhaften Licht, das ich nicht zu beschreiben vermag.
Auf die Bootsfahrt auf dem Gletschersee haben wir uns schon lange gefreut, und unsere Erwartungen wurden weit übertroffen. Der Bootsführer und Guide donnerte mit dem gut motorisierten Schlauchboot zuweilen mit 20 kn übern See, um die Eisberge und Growler Haken schlagend, bis an die Gletscherkante. Unseres Erachtens wäre eine gemächliche Fahrt weit angemessener gewesen. Das reine Naturerlebnis war atemberaubend genug. Wir hätten ewig verweilen können und uns letztlich immer noch nicht satt gesehen. Das war wirklich ganz „großes Kino“. Aber der Zeitplan war eng gesteckt und nach ausgedehntem Spaziergang am mit Eisbrocken gesprenkelten schwarzen Lavastrand mussten wir uns zur Weiterfahrt zwingen.
Nächster Stopp: wiedermal Wasserfall. Den goldenen Fall, den Gullfoss, muss man gesehen haben, auch wenn einem ständig Handysticks vor der Nase herum fuchteln. Wenigstens ist hier dank diverser Verbotsschilder drohnenfrei Zone.
Der Geysir vom Dienst war dicht umstanden und spie in unberechenbaren Abständen, was den Fotografen erhebliche Reaktionsschnelligkeit abverlangte, sein in schweflig stinkenden Dampf gehülltes Wasser in die Luft. Die übrigen Töpfe blubberten, schmatzten und müffelten vor sich hin, dem Ur-Geysir ist bereits vor ein paar Jahren die Luft ausgegangen.
Vom alten Bischofssitz Skalholt ist nichts erhalten. Wind und Wetter scheinen in Island besonders gründlich ihr Werk zu verrichten. Es gibt keine sichtbaren Zeugnisse aus der ersten Besiedlungszeit. Alle Historie zehrt von den umfangreichen schriftlichen Hinterlassenschaften. Mich hat der Ort, dem damaligen geistigen, geistlichen und kulturellen Zentrum Islands bis ins 18. Jhd., der so lebendig und plastisch in Laxness` „Islandglocke“ beschrieben wird, interessiert. Natürlich steht dort eine kleine Kirche, die auch aktiv ist und ein paar kleine Studierhäuschen, und es ist, wen kann es überraschen, in schöne Landschaft eingebettet. Nicht mehr.
Thingvellir: Hier wird das Auseinanderdriften der nordamerikanischen und eurasischen Kontinentalplatten entlang der Allmannagja-Schlucht besonders deutlich, und wie sich die eine Seite flach immer weiter ins Tal absenkt, scheint die andere sich immer stärker anzuheben.
Thingvellir ist nicht nur geografisch hochinteressant, sondern ebenfalls ein zentraler Handlungsort der „Islandglocke“ (lesen!), hier war der alte Parlaments – und Gerichtsplatz des damaligen Freistaates Island. Nach der Kolonisierung durch die Norweger im 13. Jhd. schwanden die Befugnisse und damit die Bedeutung allmählich. 1944 wurde hier die Isländische Unabhängigkeit und Republik ausgerufen.
Mit etwas Fantasie kann man sich ein gutes Bild davon machen, wie sich vor 1000 Jahren die Buden der Goden zum 2wöchigen alljährlichen Sommertreffen im Tal aneinanderreihten, der Obergode am Gesetzesfelsen Recht und sicher auch Unrecht sprach und wo und wie die Urteile vollstreckt wurden, ob im Ertränkungsgumpen oder am Enthauptungsfelsen.
Die letzten Islandtage waren vom Einfügen in Touristenreihen geprägt. Hier werden auch alle Kreuzfahrturlauber durchgeschoben. Aber es wäre zu schade und der Befindlichkeiten zu viel gewesen, diese Höhepunkte auszulassen.
Was soll ich sagen, die Gasflaschen waren vom Gaswerk zurück, und sie waren voll. Die Jungs waren selbst stolz und wurden überschwänglich gelobt und geherzt, das Unmögliche möglich gemacht zu haben, und dazu noch übers Wochenende. Manchmal braucht der Segler Glück.
Weniger Glück hatten wir mit der scheinbar leichten Verrichtung, 2 Päckchen vom Leipzig nach Reykjavik schicken zu lassen. Per Express sollte das, laut Aussage der Deutschen Post, in 6 – 8 Tagen erledigt sein. In einem war Ankes neue Segelhose, im anderen ein 12 V-Ladekabel für den Laptop, damit wir in der Lage bleiben, unterwegs auf dem langen Törn das Satellitenwetter zu empfangen.
Beides nicht ganz unwichtig für unser nächstes Vorhaben.
In aller Kürze: wie auch immer im Zeitalter der Scanner und Schriftleser: ein geografisches Genie und PISA-Gewinner hat es hinbekommen, nachdem die Päckchen in Hamburg 12 Tage geparkt waren, die Fracht nach Irland zu versenden. Da muss also die grellorangfarbene Profifischerhose aus dem Torshavner Arbeitsbekleidungsladen noch mal ran. Der Rechner ohne Saft bereitet uns größere Kopfzerbrechen.
Doch da stellt sich das 2.kleine Reykjaviker Wunder ein: nach gefühlten 12 Fußkilometern finden wir ein Fachgeschäft, in dem der Fachverkäufer ins obere Fach greift und uns sein erstes und einziges Originalladegerät fürs Auto fachgerecht unter die Nase hält: unbelievable, das habe ich für vollkommen ausgeschlossen gehalten, und nun kommts: zum halben Preis! Wir haben den einzigen Artikel in Island gefunden, der preiswerter ist als in Deutschland und anderen Teilen der Welt! Dazu wären doch aber nicht gleich 50 %! nötig gewesen. Unbelievable!
Womöglich tun wir der Stadt unrecht. Wir konnten uns nicht recht auf sie einlassen und unsere Neugier und Erkundswille waren nicht sehr ausgeprägt. Außer zum Gaswerk sind wir nur mal die Kneipenmeile hoch und runter, durchs Hafenviertel gestreift, haben das sehenswerte und sehr liebevoll gestaltete Saga-Museum besucht, die schöne, klare und fein elegante Hallgrims-Kirche, die Harpa natürlich, die auch innen sehr gut gestaltet und offenbar vielseitig nutzbar ist, und in der gerade YoYo-Weltmeisterschaften mit lauter jungen Verrückten stattfanden.
Aber wir sind auch nicht wegen Kultur – und Städteurlaub hierhergereist. Islands Natur hat uns schon lange gelockt, und hat alle Erwartungen weit übertroffen. Nun hat sich unsere Aufnahmefähigkeit etwas abgeschliffen, wir haben eine Verarbeitungspause nötig. 7 Wochen haben wir mit dem Boot die Insel aus Feuer und Eis umkurvt, durchstreift, erwandert und erfahren, haben uns in die tiefen Fjorde reingetastet und Schwefelberge erklommen, haben die Hotspots mit Touristen aus aller Herren Länder geteilt und verwunschene hotpots ganz allein zu zweien genießen dürfen. Es wird Zeit brauchen, bis wir alles Gesehene und Erlebte sortiert und verarbeitet haben. Einzig, intensivere Kontakte zu den auffallend reserviert wirkenden Einheimischen haben wir nicht knüpfen können. Die scheinen dem ausufernden touristischen Treiben mit wachsender Skepsis und Zurückhaltung zu begegnen, was jedoch auch all zu verständlich ist.
Trolle und Elfen und Feen werden über dieses Land wachen müssen, damit es bewahrt bleibt in seiner schroffen Schönheit und wilden Anmut, und nicht gezwungen wird, seine letzten Geheimnisse preiszugeben.
Danke Island, danke ihr Trolle und Elfen, für diese unglaubliche Zeit.
Wir sind bereit für die Abfahrt. Island adè.
Galerie Reykjavik
Galerie 11.8.2017
Galerie 12.8. 2017
Galerie 13.8.2017
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