Wir starten bei keinem Wind, und der kommt von vorn. Drei Stunden später aber prahlt FreiKerl mit strahlend weißer Segelrobe überm nachtblauen Atlantikwasser und die gut 6 kn Fahrt lassen uns unweigerlich genüsslich strahlen. Gekrönt wird der Sprung nach Ponta Delgada auf die azorische Hauptinsel São Miguel durch Besuche unserer verspielten Delfinfreunde und eines Buckelwals, der majestätisch seinen gewaltigen Rücken neben uns präsentiert. Ein perfekter Segeltag, wenn die Wettertücken in unmittelbarer Inselnähe nicht wären. Ponta Delgada und der Westteil der Insel verschwinden eine halbe Stunde vor Ankunft im Nebel, der Wind kreiselt und die angestauten Wolken schütten sich über uns aus und, klar, für „die paar Meilen ziehen wir uns doch kein Ölzeug an“, in nur wenigen Minuten sind wir vollständig durchweicht. Natürlich lässt sich niemand blicken um uns ein Plätzchen zuzuweisen. Immer noch tropfnass nehmen wir eine halbe Stunde später die Festmacher unserer 1 Stunde nach uns gestarteten Norweger entgegen und beschließen, das Rennen endete unentschieden. Kurz darauf tauchen unsere kleinen Franzosen auf dem Steg auf, wir beprosten erfreut mit unserem einzigen bretonischen Wort „yec`hed mat“ (gesprochen „ermat“) das Wiedersehen und verabreden uns zum Leberwurst-Contest. Gegen ihre feine „foie gras de canard“ treten wir mit kräftiger sächsischer Hausmacherleberwurst vom Biohof Lobenhain aus unserem Bestand an. Um Irritationen zu vermeiden entfernten wir sorgfältig das Verfallsdatum vom Konservenboden. Beides war köstlich und wir einigten uns am fortgeschrittenen Abend wiederum auf ein salomonisches Unentschieden.
Meine laienhaften Versuche die unbeschreiblichen Azoren zu beschreiben würde ihnen bei weitem nicht gerecht werden. Nur so viel: wir sind schlimm verliebt in dieses bergige und saftig grüne Archipel. Der Atlantik ist glasklar und verführt mit 18 Grad Wassertemperatur zum Eintauchen. Wir freuen uns über sonniges Kurzehosenwetter.
Zitat Reiseführer: “ Die Azoren liegen inmitten der unendlichen Weiten des Atlantiks. Tiefblaues Meer, soweit das Auge reicht, trifft hier auf sattgrüne Inseln. Sie sind vulkanischen Ursprungs, offenbaren Kraterseen, wildromantische Höhenzüge, dichte Lorbeerwälder, rauschende Wasserfälle und schroffe Lavaküsten. Hortensienhecken, größer als man glauben mag, säumen Weiden mit bimmelnden Kühen darauf. In Gärten gedeihen Passionsblumen und Bananenstauden. Und überall herrscht Friedfertigkeit. Die Azoren sind Inseln voller Schönheit, fast schon eine utopische Welt. Nicht ohne Grund werden sie auch immer wieder mit Atlantis in Verbindung gebracht“.
In Wirklichkeit ist es von allem viel mehr. Jede ist Insel ist anders, aber alle haben fast ausnahmslos „Islandqualität“, auf unserer TOP-10-Liste eine glatte 10. Also, herfahren, herumfahren, erfahren. Anders geht’s nicht.
Wir chartern für drei Tage einen Mietwagen und teilen die Insel in drei zu erfahrende und zu erlaufende Teile. Am ersten Tag sind wir gemeinsam mit Elina und Sigurd im Westteil unterwegs. Neben einer ausgedehnten Wanderung um einen der größten Kraterseen ist der Höhepunkt dieses Tages das Baden in einem Naturpool in einer schroffen Lavabucht, in die unterirdisch Thermalwasser fließt. Wir sitzen im Atlantikschwell, mit einem rundgelutschten, dem Körpergewicht angemessen schweren Lavabrocken im Schoß, damit einen die einlaufenden kühlen Wellen nicht über den felsigen Untergrund rollen. Von hinten drückt stoßweise 60 Grad warmes Wasser aus den Felsen in die Bucht. Es gilt, den perfekten „Mischplatz“ und die richtige Wassertiefe zu finden, und das Vergnügen ist unbeschreiblich. An den beiden darauffolgenden Tagen erkunden wir allein Mittel – und Ostteil der Insel. Das Grün in allen Schattierungen scheint aus allen Poren zu platzen. Vor allem an den feuchteren Nordküsten wirkt die Vegetation dschungelartig. In besonders feuchten Tälern und Mulden wachsen die faszinierenden Baumfarne bis zehn Meter hoch. Wir finden paradiesische hot pots, schwefelige Fumarolen, eine Teeplantage nebst musealer Fabrik, in der mit der Urtechnik von 1883 der Tee verarbeitet wird, unzählige Vulkankegel und Krater. Die gesamte Insel ist ein einziger famoser Aussichtspunkt. Die Dörfer sind blitzsauber und gepflegt, die vielen Picknickplätze herrlich gelegen und einladend, die öffentlich WC-Häuschen sauber und instand. Geld der EU-Füllhörner hinterlässt hier mit dem Ziel der Tourismusförderung erfreulich sichtbare Spuren.
Am Freitag beginnt in der Hauptstadt das wichtigste Fest des Jahres. Eine Woche lang wird Christus als Herr der Wunder geehrt, mit täglichen Böllern, Feuerwerkerei, Prozessionen und mannshohe Kerzen schleppenden Pilgern und tausenden Besuchern, Heiligen Messen, Konzerten, Gesängen, Geschenkauktionen, Basaren und Paraden. Besonders (akustisch) eindrücklich war die Parade der kompletten Feuerwehr und Krankenwagen, die sämtlich mit eingeschalteten Sirenen mehr als eine Stunde infernalischen Lärm verbreitend die Hauptpromenade am Hafen rauf und runter tuckerten, gefolgt von Hunderten hupenden Motorradfahrern mit lockerer Gashand. So gelassen und beherrscht die Azoreaner grundsätzlich auftreten, Krach und Lärm für eine „gute Sache“ scheinen ein äußerst willkommenes Ventil zu sein, ihrer offenbar verborgenen Leidenschaftlichkeit Ausdruck zu verleihen.
Am Mittwoch schon zogen die kleinen Bretonen weiter zur 150 sm entfernten mittleren Inselgruppe, nach Terceira. Samstag brachen die Norweger nach Horta auf Faial auf. Aber wir sind noch nicht ganz fertig hier. Wir arbeiten alte Blog-Rückstände auf, lassen erfolgreich eine Gasflasche befüllen, wechseln endlich den angekohlten und provisorisch geflickten Seewasserschlauch sowie einen Trinkwasserschlauch, der im Laufe der Zeit seinen Durchmesser verdoppelte und eher einem Luftballon gleicht, und massieren unseren wackeren FreiKerl. Und, natürlich führt für mich kein Weg am sehr sehenswerten botanischen Garten vorbei. Dann lockt uns ebenfalls Horta, das Mekka der Atlantikfahrer, wo der Segler einmal anschlagen, und ein Zeichen bzw. eine Zeichnung auf der Mole hinterlassen und selbstredend einen Gin im legendären „Peter Café Sport“ kippen muss.
Nach entspannten 30 Stunden, wieder mit Delfin – und Walbegleitung, finden wir problemlos eine Lücke an der Anmeldepier. Außer dem Hafenmeister erwarten uns unsere französischen und norwegischen „Kundschafter“, und schon ist der erste Cafébesuch vereinbart. Wir beziehen ein ruhiges Plätzchen als Dritte im Päckchen, tief in der Gasse an der Außenmole mit perfekter Aussicht auf den Pico, den höchsten Berg Portugals (2351 m) auf der nahegelegenen Nachbarinsel gleichen Namens.
Unsere „sozialen Wochen“ im Namen der Völkerverständigung finden hier eine gelungene Fortsetzung, nur wird der Kreis nun erfreulicher Weise um die weit gereisten Australier Allison and Guy auf einen weiteren Kontinent ausgedehnt. Diese Verrückten haben sich ein großartiges 15 m – Aluschiff mit Carbonrigg, eine komfortable Rennziege, komplett selbst zusammengeschmiedet. Vor allem seine durchdachten technischen Details, seine außerordentlich geschmackvolle Innenausstattung und seine perfekte Verarbeitung – alles unter der Prämisse „keep it simple“ – waren eine Augenweide. Nach Antarktis und Patagonien haben sie die 6000 sm von den Falklands nach Horta gleich mal nonstop durchgezogen. (Für Interessierte: die Büchse kann mehr als 20 kn und 35 Grad am Wind laufen!)
Wieder bringen uns Mietwägelchen (zwei Tage teilen wir sie uns mit den Franzosen) zu den schönsten Flecken auf den Inseln. Nach Pico setzen wir mit der Fähre über, doch leider bleibt der namengebende Gipfel wolkenverhüllt. Zwei Tage Kurven wir auf Faial herum. Der Blick vom Rand des großen Gipfelkraters ist tatsächlich atemberaubend. Eigentlich sind es endlose Fahrten durch aneinandergereihte, einzigartige, naturbelassene Landschaftsparks. Anke taumelt von einem Fotoflash zu nächsten. Auch ändern sich die Insellandschaften heute noch. Erdbeben und Vulkanausbrüche gab es bis in die jüngste Zeit. Zuletzt bebte der Ostteil Faials vor zwanzig Jahren und ließ halbe Dörfer und auch Kirchen einstürzen. Der Capelinho-Ausbruch, eines unmittelbar vor der Küste liegenden Seevulkans vor 60 Jahren (mein Jahrgang also) sorgte für das Entstehen einer neuen Halbinsel, die noch immer nur aus rotgrauer Lava und Aschefeldern besteht und einen bemerkenswerten Kontrast zum üppigen Grün der Umgebung bildet. Die Zerstörungen durch die Naturkatastrophen zogen immer Auswanderungswellen nach sich. Mittlerweile gibt es wieder Zuzüge und viele der verlassenen Häuser erwachen aus Dornröschenschlaf.
Hinter jeder Biegung, in jeder Senke, von jeder Klippe bieten sich Bilder voller Wildheit und Schönheit und Natürlichkeit.
Und wie schon erwähnt, das „FreiKerl was here“ auf der Hafenmole von Horta, der weltweit größten Freiluftgalerie, muss sein. Es zu versäumen, bringt dem Seemann angeblich oder mit Sicherheit Unglück. Der ortsansässige Seglerspielzeugladen ist bestens für die segelnden Hobbymaler aus aller Welt ausgestattet. Wir finden die geeignete Fläche genau gegenüber unserem Liegeplatz, mit dem wunderbaren Pico-Berg im Hintergrund. Nach einem Vormittag Entwurfsarbeit und Vorbereitung und einem Nachmittag der Umsetzung auf allen Vieren ist es vollbracht. Der sicheren Heimfahrt in ein paar Wochen steht nix mehr im Wege, außer unser Wollen.
Besuche und Gegenbesuche auf unseren 4 Schiffen hielten uns gut auf Trab, die Abendsitzungen waren lang und kurzweilig, und unvergesslich. Ebenso wie mein Bauchmuskelkater nach den nächtlichen, zugegebenermaßen recht weinseligen Versuchen, einfache deutsche Worte wie ebendiesen „Muskelkater“ oder „Schweinswal“ oder „Handschuh“ usw. wörtlich ins englische zu übertragen. Welche Assoziationen der französische Schnellkochtopf „cocotte-minute“ in den Ohren der englisch Sprechenden zu dieser fortgeschrittenen Stunde auslöste gehört leider auf den Index.
Ja, und die bekannteste Seglerkneipe der Welt „Café Peter Sport“, die mittlerweile einen ganzen Straßenzug einnimmt und ein paar Tage nach unserer Ankunft ihren 100sten Geburtstag feierte, kam auch nicht zu kurz. Es ist wirklich urgemütlich dort, und die Decken und Wände erzählen tatsächlich Segelgeschichte und -geschichten. Die Attitüden und das Gebaren mancher der nun täglich mehr eintreffenden Atlantiküberquerer nerven zuweilen und wir versuchen das unschöne aber zutreffende Wort „fremdschämen“ ins Englische, Französische und Norwegische zu übersetzen. (Die Norweger hatten es schon aus dem Deutschen übernommen.)
Wenn wir auf dieser Reise schon nicht alle 9 Azoreninseln besuchen können, dann wenigstens noch São Jorge und Terceira, die beiden anderen der mittleren Inselgruppe. Also, zuerst auf nach São Jorge. Der Hortaer Hafen hatte sich in den letzten Tagen mit „Heimkehrern“ aus der Karibik gut gefüllt. Alle Päckchen waren aufgefüllt, die Boote lagen wie gepfercht dicht hintereinander. Das Ablegen und Wenden im Ende unserer nun noch schmaleren Gasse, dessen „Planung“ mich schon ein paar Minuten Nachtschlaf gekostet hatte, klappte wie aus dem Lehrbuch. Fünf Stunden später schipperten wir in den niedlichen Hafen von Sao Jorge. André und Chantal, die schon einen Tag früher aufgebrochen waren, hatten uns beim freundlichen Hafenmeister José angekündigt und einen FreiKerl-geeigneten Platz reserviert. Wiederum Dank an die beiden für den herzlichen Empfang.
Galerie Sao Miguel 1:
Galerie Ponta Delgada:
Galerie Sao Miguel 2:
Galerie Sao Miguel 3:
Galerie Horta:
Galerie Fajal:
Galerie Pico: