Nach ausgiebigem und ausgedehntem deutsch-französischen Frühstück bei Helga und Peter im Wohnmobil traten die beiden den langen Heimweg nach Deutschland an, und wir verordneten uns Haushaltstag. Nicht nur FreiKerl und wir beide benötigten eine gründliche Entsalzung, diesmal waren auch Segelanzüge und -stiefel dran. Wie die Leinen an Bord so versteift das Meersalz auch die textilen Materialien, die allmählich hart und brüchig werden und nach Süßwasserspülung verlangen. Doch danach:
Bretagne und Hochsommer und Urlaub. Eine grandiose Komposition.
Quiberon liegt elegant platziert auf der schlanken, gestreckten Landzunge zwischen Biskaya und „hauseigenem“ Golf. Feine Sandstrandbuchten, trockene Kiefernwälder, schuppige Felsenküsten, Hortensienhecken, deren Blütenköpfe mit üppiger Pracht jede Lücke füllen; es duftet nach Tidenmeer, nach Sonne, nach Fisch und Schiff, nach Gegrilltem, nach Wärme und Sommer. Wir erradeln die Gegend, flanieren durchs hübsche Städtchen, tummeln uns mit hunderten Urlaubern an der Strandpromenade, verweilen vor Schaufenstern, lassen uns das köstliche Eis und die Galettes schmecken und genießen nun ungeniert das feine „Landleben“.
Nach 3 Tagen ziehen wir weiter, der Einladung unserer kleinen Bretonen Chantal und André folgend in den Golf de Morbihan, einer Art flaches, buchtiges Binnenmeer mit Atlantikzugang, hunderten Inseln, aberwitzigen Strömungen, endlosen Austernbänken und unzähligen Booten. Da es keine nennenswerten Marinas gibt, schwimmen dort tausende Festmacherbojen und die angrenzenden Ufer sind von langen Reihen bunter Plastikzubringerbötchen gesäumt. Die Freunde kamen uns in ihrem Dinghi entgegen und geleiteten uns zur Tonne 134, die sie uns organisiert hatten. Die kommenden zwei Wochen drehten wir uns also täglich zwei Mal mit dem auf- und ablaufenden Wasser wie die Synchronschwimmer mit der übrigen Bootsschar um unsere Boje. Der Revierführer gibt an, die Strömungen seien so stark, dass sie die Zinkschicht von der Ankerkette schmirgelten. Das einlaufende Wasser hatte uns mit 12 kn durch das Eingangs-Nadelöhr in den Golf katapultiert. Die Tidenströme lassen um die vielen Inseln herum die verrücktesten Wellenbilder und wuschelige Strudel entstehen. Brodelnd schäumendes Wasser steht unmittelbar neben spiegelglattem, als würde Neptun hier und da mit der großen Glättkelle über sein zappeliges Wasser gehen. Die Kreuzungsbereiche sehen aus wie Wildwasserparcours. An den Ufern kann das Wasser auch schon mal entgegenlaufen. Kurios und wunderbar. Das sieht alles sehr beeindruckend aus, ist aber nicht gefährlich und meist nach ein wenig Aufregung in kurzer Zeit überwunden. Mal schaukelt und bockt es wie wild, dann schwebt man in einer Stromschnelle, manchmal steht man, schüttelt sich oder fährt gar rückwärts.
Nun aber Landgang in Le Logeo, bei Chantal und André. Vor 7 Monaten in Galicien waren unser Gummiboot und sein 6-Pferdchenantrieb zum letzten Mal im Einsatz. Wie erwartet muckt der Außenborder und geht in Teilstreik. D.h., wiederholte Vergaser- und Zündkerzenreinigung, frisches Benzin, 100-faches liebevolles Anreißen sowie Streicheleinheiten der Skipperin an Chokeknopf und Gasdrehgriff honoriert der Jockel damit, dass wir nur Teilstrecken rudern müssen. Den sportlichen Rhythmus behalten wir bei bis sich der Dichtungsring des Vergasertanks zweiteilt. Dies wiederum hieß, volle Strecke: (wir lagen am Außenrand des Bojenfeldes) bei Stillwasser oder mit der Strömung: höchstens 20 Minuten. Gegen die Strömung bedurfte es schon der Schlagzahl des Duracell-Hasen um das Dinghi auf der Stelle zu halten, nach „Hause“ zu kommen hieß, eine gute ¾ Stunde durchziehen bis man Blut schmeckt. Anke hatte mich vorbildlich motiviert und eingestellt, und diese nächtlichen Heimrudereinlagen sorgten, außer für vorübergehend gedämpfte Laune, immer für einen klaren Kopf, kurbelten Kreislauf und die Produktion des körpereigenen „Kühlwassers“ auf Hochtouren und trainierten einwenig schwächelnde Muskeln und Kondition des Langzeitseglers. Diesen popeligen Gummidichtungsring von knapp 5 cm Durchmesser zu ergattern ist mir innerhalb der verbleibenden Woche in diesem Weltzentrum des Wassersports nicht gelungen. Fußball-WM und Tour de France (in diesen Tagen genau hier!) und französische Ferien…rien ne va plus… dauert gewiss eine Woche, ist aber ungewiss. Die vielen Fehlversuche der Dichtungsjagd verhalfen dem Schiff zumindest zu einem neuen Laderegler für Solarpaneele und Windgenerator und uns zur tröstenden Aussicht auf wohl temperierte Getränke aus dem Bordkühlschrank. Aber die Installation des Reglers, eines Nachfolgegerätes unseres knapp drei Jahre alten und doch schon kaputten, der nur über eine auf das Tablett herunter zu ladende App per bluetooth zu programmieren ist, ohne die alte Reset-Taste … Mehr muss ich nicht sagen. Diese Operation setzt Muße und Vorbereitungszeit voraus. Jedenfalls waren wir an unserer Tonne irgendwann gezwungen mangels Solar- und Windeinspeisung überbrückungsweise die Bordbatterien mittels Lichtmaschine des Einbaumotors aufzuladen. Mit dem Ergebnis, dass sich die Kühlwasserpumpe der Maschine einen 1,5 Zoll starken, meterlangen Strang gut verdrillten Seegrases einverleibte, durch das Seeventil bis vor den Wasserfilter sog und sich somit selbst kühlungstechnisch unterversorgte. Die immer hellwache Skipperin hatte das nachlassende Kühlwasserplätschern am Auspuff rechtzeitig wahrgenommen und wieder einmal größere Unbill durch Überhitzen des Motors abgewendet. Was wäre die Segelei ohne Glück. Die Beseitigung des Problems ist eigentlich einfach. Ventil schließen, Schläuche auf, Gestrüpp raus, fertig. Aber: alles zu fest verstopft, Ventil lässt sich nicht schließen. Also Tauchgang. Abschlüppern, Taucherbrille auf, Abtauchen, Strunk rauszerren und weiter wie vorher beschrieben. Doch ich hatte nicht die Rechnung mit dem Golf von Mobihan und seinen tödlichen Strömungen gemacht. Ich hänge am Tampen, flatterte waagerecht im Wasser, die Strömung schält mir die Bräune vom Leib, an Unterwasserarbeit war nicht zu denken. Warten auf Stillwasser … Natürlich ließ der Zopf sich nicht ziehen und riss ab. Aber nach ner Viertelstunde war das Ventil durch die Bordöffnung freigestochert, somit bedienbar und der Rest ging nach Plan. Irgendwas ist eben immer.
Aber von diesen „irgendwas“ abgesehen hatten wir wieder eine wundervolle Zeit. Angefangen vom viel gängigen Empfangsdinner mit Entrecote im Garten unserer bretonischen Freunde, die gemeinsamen Ausflüge nach Sarzeau, Vannes, Rochefort en Terre, Crouesty, in die Saline, usw. Wir konnten über ihr Auto verfügen, „ihr Haus war unser Haus“ während sie ihre Tochter in Grenoble besuchten. Wir lernten die große Krabbe, den Seaspider zu zerlegen und zu genießen, segelten mit ihnen auf Gipsy zu zauberhaften Inselchen im Golf, wanderten und badeten gemeinsam an ihren Lieblingsplätzen und grillten mit ihren Freunden auf „bretonisch“. Mit Gerard und Catherine sind die beiden vor ein paar Jahren um Kap Horn gesegelt, selbstverständlich. Und immer blitzert es in ihren Augenwinkeln und schelmisches Lächeln begleitet die abenteuerlichen Berichte. Dieser Gerard, der verrückte Hund, ist unlängst, mit 66 Jahren! in 83 Tagen über den Atlantik gerudert!!! Regatta. Man kann in jeder Bucht und in jedem Hafen erleben, dass die Dichte an Verrückten dieser Art, die mit ihren Booten und Wind und Wasser und Gezeiten an wilden Küsten derart verwachsen sind, hier weit über dem Durchschnitt zu liegen scheint. Bootfahren können die Bretonen bevor sie laufen lernen.
Ohne die beiden Freunde erkunden wir die charmanten Städtchen Auray, Trinité sur Mer und Locmariaquer und die Gegend um den Golf de Mobihan. Hier ist nicht nur überall Wasser und bildschöne Landschaft, locken mittelalterliche Ortschaften und hübsche Fischerhäfen, auch ist hier überall Hinkelsteinland. Wir stehen verwundert und bezaubert in Feldern von hunderten von Menhiren bei Carnac und bewundern die grafischen Ornamente und Figuren, die die Vorfahren der verrückten Bretonen vor 5000 Jahren in Granitplatten geritzt und -wie auch immer – zu Dolmen zusammengesetzt haben (auf Gavrinis und in Locmariaquer). Auf die Idee mit den aberwitzig tonnenschweren Steinen müssen sie gekommen sein, wenn das Wetter im Winter tatsächlich zu schlecht war um aufs Meer zu fahren: „Dann stecken wir eben mal ein paar tausend Hinkelsteine a 10 t/Stück in die Erde, den ganz großen mit 20 m und 300 t heben wir uns für den Sonntag auf …“.
Auf dem Markt kaufen wir unsere ersten großen Teufelskrabben (Araignée) und verwandeln FreiKerls Cockpit in ein Schlachthaus. Die Originalkrabbenzangen erwiesen sich als ungeeignetes Spielzeug, die einstellbare mittelgroße Wasserpumpenzange aus dem Bordwerkzeug war perfekt. Davon brauchen wir nun noch eine. Darüber hinaus muss das Angebot auf Märkten und auch in den Supermärkten nur insofern angesprochen werden: Einkaufen ist immer eine Tortur! Selbst mit sattem Bauch. Im kulinarischen Bermudadreieck von Port Navalo haben sich ein exzellenter Fleischer, ein duftendes Käsefachgeschäft, eine verführerische Boulangerie/Patisserie, ein frischer Gemüsemann an einer Straßenecke zusammengetan um uns und alle anfälligen Geniesser dieser Welt endgültig in den Wahnsinn oder Ruin oder beides zu treiben. Der Fleischer schnitt uns die herrlichsten Scheiben vom Kalb für unser „Bedankenunsdinner“ bei Chantal und André. Sehr gelungen und auch für die französische, fein schmeckende Zunge überzeugend: Wiener Schnitzel mit Kartoffeln und Möhren. Drumherum blieb es „französisch“.
Auch beeindruckend: In Trinités Sportboothafen legte er gerade mit Hilfe mehrerer Bugsierdinghis vor unserer Nase ab: Der Rekord-Trimaran Idecsport: 30 m lang, 16 m breit, mit dem der Bretone! Francis Joyon (allein) in 40 Tagen, 23 Stunden und 30 Minuten um die Welt gesegelt ist. Daneben sahen die beiden Vendée-Globe-Racer, an denen eifrig herumgeschraubt wurde, echt mickrig aus.
Wir hätten hier noch lange weiter urlauben können. Aber …, wir müssen weiter. Und da der Sohn unserer Freunde, der in Chile lebt, zu Besuch kam und gern segeln wollte, beschlossen die Drei den Golf zu verlassen und auf die Ile de Houat „draußen vor der Tür“ zu segeln, was sich perfekt mit unseren Plänen vereinbarte. Es sah aus wie ein geplanter Aufbruch ohne sich schon trennen zu müssen, und die Richtung stimmte auch. Wieder mussten wir feststellen, der Bretone verachtet die Motorfahrt, (es sei denn er hat ein Motorboot). Auch auf kleinstem Raum wird gekreuzt. Solange es nicht kracht hat man genug Platz. Außerdem: lange Hosen und Jacken sind überbewertet.
Nach vier Stunden feinstem Segeln rasselt der Anker in der bezaubernden Bucht an der Houat-Westküste runter, dicht genug um an den karibischen Strand rudern zu können. Wir urlauben also weiter. Sonne satt, baden satt, Freunde treffen, die verschiedenste kühle Getränke mit sich führen, ausgiebige Inselwanderung. Abends sind wir allein am Strand, und wieder einmal müssen wir uns kneifen.
Am nächsten Mittag verabschieden wir uns wirklich. Nach dreieinhalb Monaten, in denen wir viel Zeit miteinander verbrachten, gemeinsam Autos mieteten und etliche Ausflüge und Wanderungen unternahmen, gemeinsam aßen und tranken, erzählten und lachten, fielen wir uns um die Hälse und versprachen das Wiedersehen. 1000 Dank an die Beiden für ihre selbstverständliche Gastfreundschaft und die großartige gemeinsame Zeit.
Galerie Quiberon:
Galerie Golf von Morbihan, Le Logeo 1:
Galerie Vannes und Rochefort on terre:
Galerie Auray, Carnac und Trinité sur Mer:
Galerie Le Logeo 2:
Galerie Insel Gavrinis, Locmariaquer und Ile d‘ Arz:
Galerie unterwegs am Golf von Morbihan:
Galerie Ile de Houat: