Leinen los!

Natürlich hat man mit über Sechzig vor einer Reise noch einen Arzttermin! Um ggf. anstehender Erblindung vorzubeugen, habe ich am Montagnachmittag noch einen Augenarzttermin. Die Tropfen sorgen dafür, dass die Sonne mein Augeninneres lichtdurchflutet und ich nicht selbst fahren darf. Ute wartet mit dem überladenen Mobil im Parkhaus (die Deckenhöhe ist mit dem Tieferlegungssatz kein Problem) und nach positivem Nicken zu negativen Befunden meiner lieben Ärztin, kann ich mich neben Ute auf dem Beifahrersitz verkrampft sitzend, auf den Weg nach Greifswald machen. Ich bin kein guter Beifahrer…

Mein palermitanischer Tischler Uwe (für Deine Hilfe kann ich Dir nicht genug danken!) und ich haben es doch tatsächlich geschafft den Salon neu auszukleiden und FreiKerl damit fast reisefertig zu bekommen. Dennoch benötigen wir noch 4 Tage, um das Boot zu reinigen, den Mast zu stellen und zu spannen, die Segel aufzuziehen, Vorräte und Ausrüstung unterzubringen und uns von Nina, Alma und Julian zu verabschieden, die extra Ihren Sardinien Urlaub früher beendet haben, um uns „Gute Reise“ zu wünschen. Wir nehmen am Samstag, den 03.05. die Brücke in Wieck um 14:00 Uhr, und Motoren mangels Segelwindes gen Stralsund, um im Strelasund vor Drigge den Anker zu werfen und 24 Stunden nur zu atmen. Nicht reden, nicht bauen, nicht räumen – nur schlafen, lesen, essen, lieben und atmen. Nach Zwischenstopp in Stralsund an der Mole, wo uns überraschend zwei liebe Leipziger die Leinen abnehmen, fahren wir weiter nach Hiddensee, um die Auszeit einzuläuten. Bei mir will sich nicht die rechte Stimmung einstellen. Ich bin unleidlich und nörgelig. Altersdepression? Jetzt, wo alles von mir abfallen könnte? Ich will weg!

Sozial unverträgliches Frühablegen!

Das Hoch „Riccarda“ ist so umfangreich, dass es, über Großbritannien festsitzend das Wetter in ganz Mitteleuropa bestimmt und so schwer auf uns lastet, dass wir keine Luft bekommen. Kein Wind! Welch passender Name für diese Luftnot!

Wir haben 500 Liter besten und teuersten Diesel im Bauch. So beschließen wir nach Schweden zu fahren. Falsterbo ist das nächste Ziel. Um 04:00 klingelt der Wecker. 05:20 geht die Sonne auf. Wir fahren zwischen Hiddensee und Rügen bei aufgehender Sonne durch das Fahrwasser und sind winterlich gekleidet, obwohl die Sonne scheint und wir geschützt im Cockpit sitzen. Salopettenwetter! Lange Unterhosen hört sich nicht so spektakulär an. Diese sind auch nicht immer so kuschlig aus Vlies. Dazu gibt es eine Hasenfellmütze, die ich früher anders genannt hätte. Die Ostsee hat gerade mal 10 Grad. Trotzdem ist`s wunderschön. 

Für die, die es noch nicht wissen, wir sind nicht allein an Bord. Neben Peter, unserer Windfahnensteuerung und Helgaunserem Autopiloten, gibt es auch noch den Klabautermann, der immer mal unerklärliche Mysterien an Bord produziert, Streiche spielt, Dinge verschwinden lässt oder auch Kleinigkeiten kaputt macht, ist auch der Motor Nanfred ein wichtiges Crewmitglied. Daher nennen wir Ihn liebevoll Nanni. Nanni bringt uns bei glatter See und wenig Welle nach Falsterbo. Mir geht’s nur ein gaaaanz kleines bisschen besser. Am nächsten Tag soll wieder kein Wind sein. Doch Riccarda hebt ein wenig ihr Gesäß, es gibt etwas Wind und wir beschließen den öden Falstebokanal zu verlassen und nach Flakfortet zu segeln. Ja! Segeln! Genua raus und mit raumen, wenn auch mäßigen Winden, weiter nach Norden. Flakfortet ist eine, Kopenhagen vorgelagerte Insel, auf der zwischen 1910 und 1916 ein Luftabwehrfort erbaut wurde. Es gibt einen kleinen Hafen, in dem man anlegen kann. Wir sind, bis auf eine 2. „Reinke“ fast allein im Hafen, der in der Hochsaison bis zu 200 Boote fassen soll. Das Wetter ist wunderbar, aber kühl. Wir laufen durch die Katakomben, gruseln uns ob der unmenschlichen Lebensumstände, die die Soldaten in den fensterlosen Bunkern und Geschützstellungen ertragen mussten und sind wieder mal entsetzt, zu welchen kranken Ideen das krude Menschenhirn fähig ist. Der Mensch hat im Laufe der Jahrtausende nichts dazugelernt ist nur viel effektiver in seinen Zerstörungsmechanismen. Wie aktuell… Da es auch ein kleines Restaurant gibt, welches schon geöffnet hat, spülen wir die Gedanken in der untergehenden Sonne mit einem Glas „Fuglsang“ herunter. Ich habe das Gefühl, dass die Reise jetzt los geht. Doch keine Altersdepression. Ute, meine verständnisvolle Begleiterin, ist sehr! erleichtert.

Nächste Station: Helsingör!

5 Kommentare

  1. Herzlichen Glückwunsch zum gelungenen Start in euer neues Abenteuer!

    Ich wünsche euch weiterhin eine sichere und erfüllende Reise, mit vielen unvergesslichen Momenten und stets einer Handbreit Wasser unterm Kiel – und falls euch unterwegs mal die Altersdepression erwischt: einfach behaupten, es war nur Seekrankheit!

  2. Ihr Lieben, auf dem Boot kommt alles ins Lot! (…auch wenn die Gesundheit sich mit dem Älterwerden öfter meldet). Allzeit eine Handbreit Wein im Glas und einen windigen Törn wünscht euch Hannes

  3. Stalker: Schön zu sehen, wie ihr Anholt, bei 5 Bft Wind und mit 7 Knoten Reisegeschwindigkeit, verlasst.
    …Neid.
    Neid ist der Motor des Stalkers.

    Liebe Grüße,
    Michael

  4. Büschen früschen Wind um die Nase wehen lassen, Alter! Klar wird Mann da depressiv…bei dem Horizont.
    Wird es euch schwer fallen, eure Werkzeugkisten nicht anzurühren?
    Handbreit, Holger

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