Sein oder Nichtsein

Unter Fock und Genua segeln wir mit etwas Schiebestrom bei 4-5 Windstärken am Wind nach Helsingör.Der Yachthafen bietet nur wenige Plätze für Boote unserer Größe. Vor 2 Jahren mussten wir schon einmal ohne Liegeplatz weiterziehen. Aber diesmal klappt`s. Direkt neben dem Schloss Kronborg befindet sich die Marina und das Maritim- und Seefahrts- museum. Kronborg ist ein riesiges Schloss, welches zur Überwachung des Öresund im 16. Jahrhundert im Stil der Nordischen Renaissance von König Frederic II. erbaut wurde. Eine beeindruckende Festung und ein riesiges Königsschloss. Aber Bekanntheit erreichte es besonders als Schauplatz von Shakespeares „Hamlet“. Ein weiterer Grund in Helsingör Station zu machen, ist das Maritim-Museum, in dem z.Zt. eine sehr schöne und Ehrfurcht erweckende Ausstellung von Wrackfotografien einiger in der Ostsee gesunkener Schiffe zu erleben ist. Sein und Nichtsein ist häufig nur von wenigen Millimetern Bordwand getrennt.

Freie Republik Sachsen-Anholt

Wir segeln bei wenig Wind mit ausgebaumter Genua weiter nach Norden Richtung Anholt. Leider muss mehr als die Hälfte der Zeit unser Begleiter Nanni den Vortrieb unseres FreiKerl erzeugen. Der Hafen, der eigentlich ca.250 Boote beherbergen kann, in der Hochsaison oft mit 700 Booten überfüllt ist, gibt gerade einmal 15 Gastbooten Schutz und Obhut. Die Schwarz-Rot-Goldene Heckfahne schmückt 80% der Boote. Heimathäfen: Hamburg, Arnis, Kiel, Laboe etc., aus dem Osten kommen nur 2 Boote – Stralsund und Greifswald. Ich rufe die Freie Republik Sachsen-Anholt aus! Da sind wir wieder wer!

Anholt ist eine einzige Düne. Endlose weiße einsame Sandstrände säumen die Insel mitten im Kattegat. Der Kopmann hat schon geöffnet. Alle Kneipen liegen noch im Winterschlaf. Dass die Saison am kommenden Wochenende eröffnet werden soll, merkt man noch nicht. Wir unternehmen eine ausgedehnte Wanderung, abends sitzen wir an einem der nagelneuen 8 Gasgrills, die kostenlos zu nutzen sind. 17:30 wird das Gas angeschaltet 22:00 schließt sich das Ventil von Zauberhand. Wir glauben hier unseren diesjährigen Sommer zu erleben. Die Sonne scheint und wärmt schon heimelig, vorausgesetzt man sitzt im Windschatten. Ute zieht blank und sitzt im tiefen und geschützten Cockpit unseres Bootes. Wir sollten eine Vitamin D – Tankstelle eröffnen!

Der Skipper des dänischen Traditionsseglers hinter uns geht ins 10 Grad kalte Hafenbecken, um seine Schraube von Pocken zu befreien. Ute ist in „Hab-acht-Stellung“ und bereitet schon die Reanimation vor. Nach gut 30 Minuten steigt er aus dem Nass, setzt Maske und Schnorchel ab, lächelt und ruft uns zu: „The Propeller is like new“, nimmt sich ein kleines Handtuch, um sich die Haare zu trocknen, den Rest erledigen Wind und Sonne. Uns fällt der Film „The Deep“ ein, in dem ein isländischer Fischer 6 Stunden im Winter, nach der Kenterung seines Kutters durchs Eismeer schwimmt, als Einziger überlebt und der Wissenschaft Rätsel aufgibt. (nach einer wahren Begebenheit)

Hyggelige Weiterfahrt

Wie prognostiziert, dreht der Wind auf Nord und weht mit kräftigen 20-25 Knoten. Wir beschließen Richtung Limfjord zu fahren. In der engen Boxengasse ist das Wenden unseres Schiffes gegen den Wind nicht so einfach. Glücklicherweise liegen alle längs an den Stegen, so dass ich zum Wenden mehr Platz habe und Schwung holen kann. Klappt trotzdem nicht… Wir fahren uns kurzzeitig eine Hecktonne in die Schraube, die unserem Nanni den Saft abdreht. Kurz treiben wir motorlos, unter den ängstlichen Blicken der Eigner, den teuren weißen Yachten entgegen. Aber Freikerl wäre nicht unser Boot, wenn er nicht sofort wieder anspringen würde. So schaffen wir es, ohne den Nachbarn die Rümpfe aufzureißen. Im Vorhafen ziehen wir das Groß ins 1. Reff und setzen die Fock leicht gerefft dazu. Freikerl schießt ins Kattegat und ist nicht mehr zu halten. Bei halbem Wind, seiner Paradedisziplin, läuft er die nächsten 40 Meilen nicht unter 7 Knoten. MarineTraffic vermeldet sogar 9.3 Knoten Topspeed! Da muss gerade eine besonders hohe Welle geholfen haben. (Für die, die keine Vorstellung von der atemberaubenden Bootsgeschwindigkeit haben: 7 Ktn. x 1,852 = 12,96 Km/h – mit dem Fahrrad würde man beinahe umfallen…)

Die See wird ungemütlicher und bei über 2m Welle müssen wir auch noch etwas steiler zum Wind fahren. Da ist`s vorbei mit der Gemütlichkeit. Hyggeligkeit weicht Hügeligkeit, Überkeit und Müdigkeit! Ute sitzt frierend und mit fahlem Gesicht im Cockpit und als ich kurz unter Deck gehe, um das Chaos, dass in unserem Salon herrscht zu ordnen, stürzt Freikerl in ein Wellental, so dass der Inhalt meines Magens am Zäpfchen kitzelt und mir sofort speiübel wird. Ich kämpfe mehrere Stunden gegen die Umkehr der natürlichen Peristaltik. Aber Dank Freikerls Bewegungsdrang bringen wir die 42 Meilen Überfahrt zum Limfjord in 6 Stunden hinter uns. Nach einem heißen Tee mit Rum und dem beherzten Biss in die bereits zum Frühstück vorbereiteten Bemmen, beschließen wir gleich weiter nach Ålborg zufahren.          3 Stunden später rufen wir die Limfjordbrücke an und bitten um Durchlass. 5 Minuten später geht die Brücke hoch und wir passieren etwas verzögert auch noch die dahinter liegende Eisenbahnbrücke. Im Skudehavn gehen wir längs an die Mole und genießen die untergehende Sonne. Zu Abend gibt’s den auf Anholt von Ute selbst gesammelten Meerkohl. Sehr köstlich! Nun müssen wir schon das essen, was uns die Natur zur Verfügung stellt…

Hafentag in Ålborg. Wir wollen Wäsche waschen, frische Vorräte erwerben und einen kleinen Stadtbummel unternehmen. Bei der Einfahrt nach Ålborg von Osten durch den Limfjord kommend, eröffnet sich uns ein grauenvoller Anblick. Industrieanlagen so weit das Auge reicht. Kohlekraftwerke, Betonwerke, Hafenanlagen, Raffinerien… Es wundert mich nicht, dass der berühmte Ålborg-Aquavit hier hergestellt wird. Der Anblick ist nur im Rausch zu ertragen. Doch dann wird der Blick durch moderne Architektur erhellt. Vor 10 Jahren, als wir zum 1x hier waren, standen viele der Gebäude noch nicht. Die Altstadt und einige der Neubauten sind sehenswert. Es gibt einige interessante alte Gebäude, wie der mittelalterliche Königspalast, herrschaftliche Bürgerhäuser aus der Renaissance und viele kleine Fachwerkhäuser die Cafés und kleine Geschäfte beherbergen. Die Stadt hat 100.000 Einwohner, davon 20.000 Studenten. Die Stadt macht einen jungen Eindruck. Das spürt man überall. Die jungen blonden Wikingerinnen prägen das (mein) Stadtbild. Der kalte Wind pfeift aus Nord. Dennoch ist von Hotpants und Spagettiträgern bis Schal und Wollpullover im Stadtbild alles vertreten. Es wird Zeit, dass wir weiterziehen.

Von Dragstrup Vig nach Glomstrup Vig

Wir verlassen Ålborg vor dem Frühstück und lassen uns durch den nördlichen Limfjord ziehen. Der Wind weht kräftig aus NordOst, selten unter 20 Knoten in Böen auch gerne mal mit 6 Beaufort. Wir wollen in einer 33 sm entfernte Ankerbucht ankern und faulenzen. Ich habe auch seit Wochen kein Saxophon mehr geübt. Jedoch ist die Bucht so windig, dass wir beschließen weiterzufahren, um dann in der 22 Meilen weiter entfernten Dragstrup Vig den Anker fallen zu lassen. Nach über 10 Stunden konzentrierten Segelns, 2 Brückenpassagen mit je 30 Minuten Wartezeit, und bei andauerndem Lärm durch Wind und Welle, ist die plötzliche Ruhe vor Anker Balsam für die Crew. Der Ankerschluck fällt üppig aus. Die Fahrt am nächsten Tag zur gut 3 Stunden entfernten Glomstrup Vig geht bei 6 Beaufort dann zügig vonstatten und wir fallen im Salon auf die Polster um den Nachmittag lesend zu verbringen. Der Wind heult ununterbrochen im Rigg. Wir hätten uns Anti-Dekubitus Matratzen machen lassen sollen. 

3. Tag am Anker vor Kås Hoved, ich versuche mit meinem neuen MacBook die Ciboneyseite zu füttern. Dumm nur, dass ich keine Ahnung habe… So befrage ich ständig Google. Gut, dass es so viele sendungsbewusste Zeitgenossen gibt und die Welt mit ihren Wissen fluten. Für die Galerien brauche ich dann doch WLAN.

Morgen geht’s nach Thyboron!

2 Kommentare

  1. Klingt ja alles super entspannt , fehlt ja nur noch der Regen 🙈 😉 😁

    … ich hätte noch einen Tag bei den Wikingerinnen mit den Spagetti-Trägern verbracht 😁😉

    Aber der Nordwind soll ja bald enden.
    Dreht dann bestimmt auf West 🙄😉

    Viel Spaß weiterhin !!

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