Nun sind wir mittendrin in den Fjorden des Hornstrandir, ganz im Nordwesten, dem abgelegensten Naturschutzgebiet Islands, in dem es keine Straßen gibt, das man nur per Boot, zu Fuß oder Pferd bereisen kann.
Während des Frühstücks, das wir andächtig und einsilbig, auf die umgebenden Berge um uns herum im Fjordende starrend, einnehmen, zeigt sich am Ufer – im Gegensatz zu den sich rar machenden Meeressäugern, wie auf Bestellung, ein Polarfuchs im braunen Sommerfell. Er schnürt gemächlich den Ufersaum bei Niedrigwasser auf Futtersuche entlang. Kurz darauf schnippt neben uns ein Robbenkopf aus dem Wasser, beäugt uns Eindringlinge in sein abgelegenes Reich neugierig und verschwindet wieder. Die allgegenwärtigen Eissturmvögel, Küstenseeschwalben und Entenfamilien lassen sich durch unsere Anwesenheit beim „wildlifebreakfest“ auch nicht weiter stören.
Wir können uns gar nicht sattsehen an diesem grandiosen Panorama, entschließen uns nach der zweiten Nacht jedoch wieder raus zu fahren zum Fjordeingang. Dort gibt es für die einzigen 3 einsamen Häuschen weit und breit ein Ankerplätzchen und einen kleinen abgesoffenen Schwimmsteg, um mit dem Schlauchboot anlegen zu können. In einem der Häuschen, dem Old Doctors House, in dem die Zeit passender Weise seit 100 Jahren stehen geblieben ist, wird in den ehemaligen Wohnräumen ein sehr hübsches und urgemütliches Cafė betrieben, in dem es weltbeste Eierkuchen geben soll, was wir nunmehr an dieser Stelle bestätigen wollen. Wie in Island fast überall in Gastronomie und Hotellerie rekrutiert sich das Servicepersonal aus Saisonkräften aus aller Herren Länder, insofern wundern wir uns nicht, unsere weltbesten Eierkuchen in diesem entlegensten aller Cafės von einer freundlichen deutschen Studentin gereicht zu bekommen.
(Der Tourismus hat in den letzten Jahren absurde Ausmaße angenommen: auf die 330.000 Einwohner Islands kommen unterdessen 7! x soviel Besucher jährlich. Mehr als 100 Kreuzfahrtschiffe laufen Island an und so kommt es regelmäßig vor, dass sich durch Fischerdörfchen mit 650 Einwohnern 3000 gut versorgte Vorruheständler schleppen oder geschleppt werden. Bezüglich dieses Themas scheint die Stimmung im Lande bereits gekippt zu sein und die „locals“ fordern konsequentes Gegensteuern der Regierung. Nur eine praktikable Idee gibt’s wohl noch nicht.)
Anschließend bringt uns das Dinghi noch zu einer verfallenen Walkocherei, bei deren Erkundung wir ein britisches Seglerpaar treffen, die seit 4 Jahren unterwegs ist und nun auf dem Weg nach Grönland, zum Überwintern und Skifahren, um dann die Reise durch die Nord-West-Passage fortzusetzen. Klar, was soll man sonst dort unternehmen und schade, da hätten wir doch auch selbst drauf kommen können.
Aber es gibt hier noch 4 Nachbarfjorde, die sich wie die Finger einer Hand in die Landschaft strecken. Auch die zu sehen, sind wir her gekommen, also Anker auf und rein in den ersten Parallelfjord Lonafjordur. Wir sind mittlerweile geschult in der Erkenntnis, dass landschaftliche Schönheit sich hier immer wieder übertreffen kann, d.h., bei 3 x „krass!“ ist noch lange nicht Schluss, und so erging es uns. Ganz langsam schlichen wir bis in den letzten Winkel und strapazierten unsere Hirne mit den Vorsätzen, alles Gesehene aufzusaugen und abzuspeichern. Dass die Fjorde nicht kartographiert sind und wir nur empfohlenen Routen anderer Segler folgten, steigerte die Spannung während dieser Entdeckertouren durchaus. Anke ließ die Kamera heiß laufen und bald schon beschlich sie Misslaunigkeit bei dem Gedanken, die Ergebnisse der Fotoflashs anschließend sichten und sortieren zu müssen. Ich musste mich zwingen die Tiefenanzeige nicht aus dem Augenwinkel zu verlieren.
Und der darauffolgende Fjord ist wieder ganz anders und ebenso gewaltig, schön und beeindruckend, und hat ein zauberhaftes Ankerplätzchen ganz am Ende, natürlich wieder ganz für uns, und wieder einen Polarfuchs, ganz für uns. Morgen wollen wir versuchen in die Nähe des Drangajökull-Gletschers zu wandern. Wir kommen problemlos und trocken bei Hochwasser an Land und fragen uns schon, wie wir das Dinghi bei unserer Rückkehr und Niedrigwasser durch die Steinfelder und den Schlick ins freie Wasser bugsieren sollen. Um es vorweg zu nehmen, den Gletscher haben nicht erreicht. Die Vielzahl der Wasserläufe und Bäche, die sich von den Bergen und aus dem Gletscher stürzen, haben wir nicht überwinden können. Unsere zarten Wohlstandsfüsse ließen uns an den Eiswassertemperaturen und ausschließlich steinigen Untergründen scheitern. Ungeachtet dessen hatten wir einen fantastischen Wandertag, bei gleichbleibend sonnigem Wetter, in unendlich weiten, grünen Wiesentälern, an tosenden Wasserfällen und Schneefeldern vorbei, über Geröllhalden, Stock und Stein, Löcher und Spalen. Uns wurde sehr deutlich und bewusst, wie klein und verloren und unbedeutend wir sind, und am Ende des Tages waren wir dankbar, dass diese gewaltige Natur uns für einen Tag hat näher kommen lassen, sich berühren lassen von uns Winzlingen.
Nachdem wir das Dinghi 100 m um die Steinbrocken durch den Schlick geschleppt haben, bei dieser Gelegenheit Miesmuscheln fürs Abendessen gesammelt (Chris‘ Rezept: gratinierte Miesmuscheln – köstlich!) und wieder wohlbehalten in FreiKerls Salon saßen, erfuhren wir eine Andeutung davon, wer oder was hier die Vorherrschaft hat und uns nur kurz geduldet hat, als plötzlich der Ostwind nasskalte Wolken durch über die die Berge durch die Ufersenke aufs Wasser trieb, Fallwinde von mehr als 25 kn das Fjordwasser zum schäumen brachten und uns eine unruhige Nacht bescherten. Unendliche Schönheit und lebensfeindliche Unwirtlichkeit trennen hier nur ein Wimpernschlag.
Den 4. und kürzesten Finger befahren wir nur des Gletschers wegen, dessen flachste Zunge man immer voraus im Blick hat. Allerdings ist die Einfahrt am aufregendsten, die 2 bekannten großen Felsen sind unter Wasser und nicht vermessen. Aber die Informationen der Segelkollegen, die schon hier waren, sind genau genug, und wenn wir problemlos hineinkommen ist die Ausfahrt auf gleichem Track sehr einfach, und so können wir alles um uns unbeschwert genießen.
Satt sehen kann man sich nicht an diesem Übermaß an Naturschönheit. Wir hatten diese wunderbaren und geheimnisvollen Nordwestfjorde 5 Tage ganz für uns, ohne Menschen, ohne Kreuzfahrer, ohne Konsum, ohne Telefonempfang, nicht einmal ortbar. Einfach unglaublich! Schweren Herzens treten wir den Weg zurück in die Zivilisation an, segeln bei total verrückten Winden, die sich vor und hinter jeder Fjordnase sprunghaft ändern, nun doch vergnügt und überfüllt von Eindrücken nach Isarfjordur, einem kleinen Fischerhafen, wie immer und überall, dem Sprungbrett der Grönlandsegler. Von dort wollen wir die eigentlichen Westfjorde, die erschlossen und bewohnt und bewirtschaftet sind, von Land aus befahren.
Selbst die Seglerwelt ist klein: wir treffen uns walisischen Freunde wieder, die hier an ihrem Oldtimer noch einen größeren Schaden klempnern mussten und sich ihre Grönlandzeit so leider erheblich verkürzt. Das ist wirklich eine coole Truppe. Käpt’n Roger Capps entgegnet mit schelmischen Lächeln auf meine Frage, warum ich sie per AIS nicht orten kann: ooch, dann müsste er aus Sicherheitsgründen alle 6 h der Coastgard seine Postion durchgeben und darauf hätte er wirklich keine Lust. Aber wenn wir mal nach Wales kommen, sollen wir ihn unbedingt auf seiner Farm besuchen. Mike Henderson, mit dem wir schon in Torshavn auf Birgers blauen Schoner Frondienste geleistet und gefeiert haben liegt hier an der Pier, nimmt uns die Leinen ab und freut sich wie wir übers Wiedersehen. Zu guter Letzt trudeln die Skifahrer der Nord-West-Passage und Andrew Wilkes, der Autor des dicken Arctic Pilot, unserer Färöer und Island-Segelbibel, den wir schon am ersten Island-Tag in Seydisfjordur sahen, ein. Klassentreffen also, nur mit dem Unterschied, dass die Kollegen bereits alle Hochschulreife haben, während wir die Grundschulbank drücken. Und immer wieder Frage: sehen wir uns in Grönland wieder? Das juckt uns schon ein wenig. Aber zum Einen gäbe es unser Zeitplan nicht her, zum Anderen trauen wir es uns einfach noch nicht zu. Aber, beim nächsten mal!
Wir organisieren uns einen Mietwagen, hier spürbar teuerer als in Husavik. Übermorgen geht’s los zu Ankes „Hot-Pot-Hopping“ und Sightseeingtour in den Westfjorden.
Galerie Nordfjorde – Hesteyrarfjord
Galerie Nordfjorde – Lona-, Hrafns- und Leirufjördur
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Hallo Ihr beiden,
immer wieder freue ich mich auf Eure neuen Erlebnisse, die Ihr so authentisch mit uns teilt. Es macht mir viel Spaß Euch am PC zu folgen und an der Reise teilzuhaben. Viele Grüße auch an Mike H. und für FREIKERL und Crew weiter eine sichere und großartige Reise !! wünscht Ecki