Sankt-Petersburg-Impressionen

Viel besser kann man sich den Extremen innerhalb eines Urlaubs nicht ausliefern. Gerade hatte man sich der festen Gewissheit hingegeben, den Rest des Lebens auf dem kleinen unbewohnten Eiland zwischen Nuokko und Haapasaari zu verbringen, davon ausgehend sich mit den ureinwohnenden Moskitostämmen auf einen Nichtangriffspakt verständigt zu haben. Aber das Projekt „Ostseerundabenteuer“ steht nämlich über allem, weshalb der Petersburgausflug unvermeidlich war.
So tauschten wir also das Mückensummen gegen Helibrummen, finnische Behäbigkeit gegen russische Betriebsamkeit, bescheiden klein gegen grossspurig gigantisch. Nur die Röcke weit oben über den high heels waren wiederum um einiges kleiner, allerdings die dazugehörigen Poe auch. Und wenn das Rot der Heckboje der grellste Farbtupfer in sonst endlosem Grün Blau und Braun der Schärenwelt war, so sind es hier Kleider und Roben der jungen Mädchen in den Farben der Warnwesten deutscher Verkehrshelfer. Und es mag gut sein, dass das russische Männchen auf Brautschau sich davon besonders angesprochen fühlt. Insgesamt fühlt es sich an wie eine stadtweites Trainingslager für die Miss-St. Petersburg -Wahl. Und wenn es für die Titelseiten der Gazetten nicht ganz reicht, springt vielleicht wenigstens ein Plätzchen als Deko-Girl in einem Oligarchengefolge raus.
Man muss wieder erkennen: es gibt keine Klischees.
Natürlich ist Petersburg ein touristisches Superschwergewicht, und die Dichte des unbedingt Sehenswerten überfordert mich zuweilen. Aber wieder sind es für mich die eher stillen Momente, die die tiefsten Eindrücke hinterlassen, wie das zufällige Beiwohnen eines orthodoxen Samstagabendgottesdienstes in Dostojewskis Lieblingskirche. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass der Gesang live sein kann, zumal niemand zu sehen war. Andererseits traute ich ihnen auch keine Technik zu, die so brillant klingt. Aber es war live! Meine Güte, was für überwältigende Stimmen, da kann man nur gläubig werden. Und der inhalierte Weihrauch sollte mindestens bis zum nächsten Russlandbesuch vorhalten.
Man muss Petersburg ganz sicher gesehen, gehört und ein wenig gefühlt haben. Man versteht ein ganz klein wenig mehr, warum sie so sind, wie sie sind.

Verflixt! Hatte doch noch EINEN Vorpetersburger für Jens:

„Der Verklicker dreht sich im Kreise: Scheise!“

3 Kommentare

  1. Hey Uwe, viel besser kann man den Daheimgebliebenen nicht von einer Reise berichten. Um auch nur andeutungsweise das Niveau des Blog´s halten zu können, muß ich es schaffen, mit Karten und Fotos einen ähnlich plastischen Eindruck des Vor-Ort-Erlebnisses darzustellen. Auf jeden Fall freue ich mich riesig, dass die „Ausschleusung“ geklappt hat, und hoffe, dass ihr Petersburg noch genießen könnt. Euch eine schöne Heimreise, Martin und Crew einen schönen Törn und der HERKULES die handbreit…LG Tom

  2. Ich bin schwer beeindruckt von dem Clou. Können wir aber schon wieder frei sprechen/schreiben? Ist Anke in Sicherheit? Was weiß der KGB? Wer sind die Hintermänner? Man, ist das spannend. Warte auf News.
    Auf Kohlen sitzend.

    Alexander

    1. Anke, ich bin gespannt, wie du den Bestimmern am Flughafen erklärst, wo denn dein hübsches Schiffchen abgeblieben ist, mit dem du das Land geentert hast … aber vielleicht reicht ja ein fünffaches Formular-Kreuz in der Rubrik „потерянных кораблей / lost vehicles“.

      Uwe, hier liegt ein Brief für dich aus Klagenfurt: „… wäre es uns eine ausgesprochene Ehre, wenn Sie einen unveröffentlichten Prosatext (auch Auszüge) als herausragendes Beispiele Ihres Schaffens …“ usw.

      Euch eine gute Rückreise, Jens

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.