Die Überfahrt

Holger hat mir nachfolgenden Text zur Veröffentlichung aus Bequia geschickt:

Am Mittwoch, 15. Januar um 16.45 legt die MISTRAL von der Bunkerstation in Puerto Calero, Lanzarote, ab. Im Wassertank sind 1800 Liter, im Dieseltank 1200 Liter. Wir acht an Bord sind alle froh, dass es nach fünf Tagen auf der Ferieninsel endlich losgeht. Das Großsegel wird zweifach gerefft, dann geht das Schoner-Segel hoch, dann Fock und Klüver – die Logge klettert auf 10, 11 Knoten, achterlicher als quer rauschen wir an Lanzarote vorbei, die See ist ungemütlich, der Nordostwind bläst mit 25 kn und Cloe, die Bordfrau, muss unter Deck für alle kochen. Sie ist zwar sehr see-erfahren, kommt trotzdem alle fünf Minuten zum Frischluftschnappen ins Cockpit. Skipper Dieter hat ein Einsehen und wir nehmen die Passage zwischen Lanzarote und Fuerteventura, damit wir etwas wellengeschützt fahren können. In Cotillo Lago auf Fueretventura gehen die Lichter an, es wird schnell dunkel. An Backbord taucht Gran Canaria auf, dann an Steuerbord Teneriffa, der Pico de Teide, Spaniens höchster Berg, zeigt sich im Mittagslicht mit verschneitem Gipfel, dann Gomera und schließlich die Lichter von El Hierro: Sechs Inseln in 36 Stunden. Beim letzten Blick auf die beleuchteten, plötzlich so einladend anmutenden Häuser in den Hängen wird mir ein bißchen schwer ums Herz: Jetzt liegt die riesige Wasserwüste des Atlantiks für die nächsten Wochen vor uns – jetzt geht die Transat richtig los. Delphine kommen zur Aufmunterung ans Schiff, zwei Wale dösen direkt neben uns, Sternschnuppen sausen über uns hinweg und jetzt weiß ich wieder, warum ich schon wieder über den Atlantik will.

Rauschefahrt pur: Etmale von 185 und 203 Seemeilen. Anstrengend ist das. Fast 50 Tonnen müssen bei 12 kn Fahrt über die achterlich anrauschenden Wellen gesteuert werden, ununterbrochen. An Bord gilt das schwedische Wachsystem: Von 7 bis 13 Uhr, von 13 bis 19 Uhr, von 19 bis 23 Uhr, von 23 bis 3 Uhr, von 3 bis 7 Uhr: verteilt auf zwei Wachen á vier Leute. Fraktioniertes Schlafen heisst das. Nachts ist es kalt und nass, ohne dickes Segelzeug ist das nicht zum Aushalten und ich habe nur dünne Karibikklamotten dabei. Andere haben einen zweiten Musto-Offshore Klamotten dabei – die retten mir das Leben – drei Tage lang, dann wird es endlich wärmer. Nachtsegeln macht wieder Spaß, der Sternenhimmel zeigt sich in voller Pracht, ab Mitternacht leuchtet der  Vollmond. Übler ist es, wenn die dunklen Wolken und der Horizont miteinander verschmelzen und selbst das Vorschiff im tiefen Schwarz nicht mehr zu sehen ist. Was ist Meer, was ist Himmel, was ist Schiff

 Bordroutine schleift sich ein: Wache eins und Wache zwei treffen sich nur zum Essen, wer Freiwache hat, haut sich in die Koje und schläft. Es gibt haufenweise Regeln: Wer kocht, wer abwäscht, wann geweckt wird, wieviel Süßwasser jeder pro Tag verbrauchen darf, Rettungswesten- und Gurtpflicht in der Nacht, mindestens zwei Leute ständig im Cockpit und Hierarchien gibt es auf diesem Klassiker natürlich auch. Und genau das kann ich aus vollem Herzen genießen: Ich bin einfaches Crewmitglied, ohne Verantwortung für Kurs und Trimm und genieße es, einfach nur zu segeln: Was für eine herrliche Freude, hinter dem großen hölzernen Steuerrad zu thronen und bei mittlerweile 30plus Knoten Wind den Atlantik zu pflügen. Und dann plötzlich eine Fontäne, keine Windhose, wie ich vermutete. Eine riesige Fontäne, das Ausblasen eines riesigen Wals, der aber sonst nicht mehr von sich zeigt.

Unter Deck knirscht und knarrt es mächtig gewaltig: Immerhin ist MISTRAL aus Holz und 75 Jahre alt, aber weder klapprig noch morsch oder hohl – ganz vertrauensvoll und geborgen fühlen wir uns auf diesem großen, schweren und schnellen Schoner. 25 Meter sind es vom Steuerthron bis zum Klüver und der touchiert immer wieder die Wellen und steigt dann hoch in die Wolken empor: Wer im Vorschiff schläft, gurtet sich besser an. Hinten im Cockpit zischt und gurgelt es unablässig, das Sprudelwasser färbt sich azur um dann wieder tiefblau im Kielwasser zu verschwinden. Bloß nicht umdrehen: Die Vier-Meter-Welle rollt ans Heck heran, Schaumkronen scheinen nach dem Steuermann zu greifen, verkriechen sich aber im letzten Augenblick unter dem Schiff. Diese achterlichen Wellen wollen  ganz korrekt genommen werden: Und genau das gelingt mir für ein paar Sekunden: Mit unbewegtem Ruderblatt, die Luft anhaltend, lasse ich MISTRAL mit 15 Knoten eine Welle runterrauschen – schneller geht kaum. Das war die perfekte Welle!

 N18°11‘ W038°10‘ – Bergfest: Die echte Barfußroute, der Süden ist da: Short und Shirt genügen jetzt selbst bei der Nachtwache. Die beginnt mit dem Wecken, müde quälen wir uns nach dreieinhalb Stunden Schlaf aus der Koje, Klamotten an, den Harnisch aus Rettungsweste und Sicherheitsgurt anlegen und dann begrüßen Jupiter, Saturn und Venus die neue Wache, rechts an der Milchstraße und Sirius vorbei weiter nach Westen. Jeden Morgen sammeln wir dutzende Fliegender Fische vom Deck. Tagsüber schießen sie vor dem Bug aus dem Wasser und fliegen über die Wellen – das ist unser einziges Unterhaltungsprogramm jenseits des Schiffs: Weder Delphine noch Wale lassen sich blicken, Schiffe schon gar nicht.

 Nach 12 Tagen bricht uns das Schonerfall. Ab jetzt ist schonendes Segeln angesagt: Nur mir dreifach gerefftem Groß und dem Klüversegel sind wir jetzt rund zwei kn langsamer: Nur noch 7-8kn statt 9-10kn Reisegeschwindigkeit. Für die Wellen sind wir ein bißchen zu langsam: Es knarrt und klappert und schaukelt unangenehm, selbst das Einschlafen fällt jetzt schwer. Trotzdem bleibt die Stimmung an Bord sehr gut – wir alle verstehen uns prima und das ist keine Selbstverständlichkeit aber absolute Notwendigkeit bei einer so langen Reise auf der auch das größte Schiff immer kleiner wirkt. Die Nähe zueinander wird Tag zu Tag riechbarer – trotz Salzwasserdusche und reichlich Deo…

Die ETA bleibt mittlerweile konstant: Am 31. Januar wird Barbados erreicht – wenn nichts dazwischen kommt. Alle fantasieren von kaltem Bier, Schwimmen gehen, Salat essen und Leute gucken.

Um 7 Uhr 15 am 31. Januar kommt Land in Sicht: Juchu! Plötzlich schreit die Steuerfrau: EMERGENCY! Sie hält das Steuerrad in der Hand und MISTRAL ist plötzlich nicht mehr steuerbar. Die uralt-Technik aber ist unser Segen: Es hat sich nur ein Flansch gelöst, mit viel Kraft und verschmierten Händen können wir die Verbindung zum Ruder wieder herstellen. Der ungestörte Blick auf den Atlantik ist aber jetzt unwiederbringlich vorbei: Um 14 Uhr legen wir im Deepwater-Harbour von Bridgewater an. Jetzt bin ich in der Karibik angekommen!

Tankboot Bequia Bequia 2 Barbados

5 Kommentare

  1. Hallo Holger,
    danke für Deinen tollen Bericht, den ich voller Neid gelesen habe. Gratulation zur Bewältigung des Seestücks auch an die Crew! Weiterhin gut Reise! Wir werden Deine Fahrt in den nächsten 14 Tagen von Bord der Katamarane in Thailand verfolgen und den Blog (sofern möglich) gerne weiter mit interessanten Berichten Deiner Reise füttern.
    Liebe Grüße!
    Atze, Utze & Nitze

  2. Lieber Holger, ein emotionler und packender Bericht – ganz toll. Jetzt sind wir auf die weiteren Abenteuer gespannt und werden ganz bestimmt aus Thailand mitlesen. Zwei ganz tolle Bilder von dir – mehr davon :-)

    Grüße, J&J

  3. 15 Knoten mit der Mistral… nicht schlecht…ich hoffe du hattest auch die Brille auf beim Blick aufs Log ;-))
    Da seid ihr ja ganz schön zügig rüber gerutscht.
    Ich packe gerade. Morgen geht es los. Da sind wir dir dann genau gegenüber.
    Schreib ab und an wieder etwas in den Block.

    Bis denne
    Matti Hauki

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